Zwei Stunden Mittagspause
unter seinen Schuhsohlen zu Staub zermalmte und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig war. Luise Zumbach fand die richtigen Worte, die beide Männer aufhorchen ließen.
»Noch ist gar nichts passiert!« sagte sie laut. »Man hat Margots Wagen gefunden … gut. Blut ist am Polster, gut.«
»Gut sagst du?« Großmanns Stimme klang wie in einen Eimer gehaucht, hohl und weit weg. »Blut nennst du gut?«
»Blut kann aus hunderterlei Gründen an die Polster kommen. Vom Einkaufen allein … wenn Margot Leber geholt hat etwa …«
Zumbach klammerte sich an diese Version wie ein Ertrinkender an einen hingehaltenen Ast.
»Das ist es, Benno!« rief er und starrte über Großmann an die Wand. Dort hing ein Bild, ein modernes Gemälde, das keine Form hatte, nur Farbe und Rhythmus, und das Zumbach ›Seelenleben‹ getauft hatte. »Hat es bei euch in den letzten Tagen Leber gegeben?«
»Mein Gott, soll ich mich jetzt ans Mittagessen erinnern?« Großmann bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Er begann zu schluchzen.
»Wer sagt, daß es Menschenblut ist? Margots Blut?« Zumbach steckte die Hände in die Taschen. Der Riß am Handgelenk war ihm bei allem schnellen Nachdenken ein Rätsel. Angenommen, man stellte im Polizeilabor fest, daß es wirklich Menschenblut war, das an Margots Autopolster klebte … Wer konnte auf den Gedanken kommen, daß es Zumbachs Blut sei? Blutgruppe A, Rhesus negativ … davon gab es Millionen! Niemand würde annehmen, daß der Architekt Zumbach in diesem Wagen gesessen hatte, zu einer Zeit außerdem, in der er nachweisbar eine zum Kauf angebotene Baustelle besichtigt hatte. Ein unerschütterliches Alibi … was heißt hier überhaupt Alibi? Hatte er es nötig, Alibis zu schaffen? Wenn man ihn darauf ansprechen würde, war eine große Empörung fällig. Eine Beschwerde beim Polizeipräsidenten, denn den kannte er gut.
So gesehen, hatte Zumbach etwas geschaffen, was bisher noch keinem Täter gelungen war: ein perfektes Verbrechen.
Verbrechen? Zumbach wandte sich ab und lehnte sich an die Wand. Was habe ich denn getan? dachte er. Ich habe Margot nicht umgebracht, sie ist an einem Herzschlag im Augenblick des größten Glücks gestorben. Ein natürlicher Tod, ein Unfall, wenn man so will … mehr aber nicht. Kriminell war nur das Verschwindenlassen der Leiche … aber das ist kein Verbrechen im üblichen Sinne. Das war Feigheit, pure nackte Feigheit vor dem Skandal, vor dem Geständnis: Margot ist seit Monaten meine Geliebte, meine ›Mittagspause‹ am Dienstag und Freitag.
Die Stimme Luises riß Zumbach aus seinen Betrachtungen. »Ich möchte dir nicht weh tun, Benno«, sagte sie leise. »Aber ist es nicht möglich, daß Margot ein … ein Zusammentreffen mit einem anderen Mann … Du weißt schon, was ich meine, Benno.«
»Ausgeschlossen!« Großmann nahm die Hände vom Gesicht. »Ich konnte mich auf Margot verlassen.«
»Sie war jung, hübsch … Mein Gott, warum reden wir schon in der Vergangenheit? Sie ist hübsch!« Luise Zumbach blickte auf das Telefon, als müsse es gleich klingeln und sich Margot melden. »Du traust ihr keinen Liebhaber zu?«
»Nein!« Großmann erhob sich und ging ins Wohnzimmer. »Was heißt zutrauen? Einer Frau wie Margot starren die Männer nach, ich weiß das. Aber sie macht sich nichts aus Flirts! Ich gebe ihr alles, was sie braucht. Alles!«
»Das wissen wir, Benno.« Zumbach sah seinen Freund bei diesen Worten nicht an. Wie ausgehungert sie immer war, dachte er. Wie ein Raubtier, das nur einmal in der Woche Fleisch bekommen hat. Von zwölf bis zwei aß sie sich dann satt … sie war eine wundervolle Geliebte … Laut sagte er dann: »Aber trotzdem … der Wagen an der Autobahn, verlassen mit steckendem Schlüssel … das sieht ganz danach aus, als ob sie nur umgestiegen ist, und als sie dann zurückkam, war der Wagen weg! Diese Situation kann jetzt gerade eingetreten sein. Versteh mich recht, Benno … es ist schrecklich, einem Ehemann so etwas zu erzählen … aber man sollte auch diese Dinge einkalkulieren.«
Großmann nickte schwer. Er tappte herum wie ein Tanzbär, ein hilfloses Wesen, das irgendwo einen Halt, eine führende Hand, eine Geborgenheit sucht.
»Wir sind zu optimistisch«, sagte er schließlich dumpf. »Dieter sagte am Telefon, daß ein Polizist an der Fundstelle bleibt, falls Margot wirklich wieder auftauchen sollte … Ich glaube es nicht. Ich habe so ein unbestimmbares Gefühl, eine innere Unruhe … ich könnte jetzt laufen, immer nur
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