Zwei wie wir: Roman (German Edition)
ehrlich!«
Statt einer Antwort höre ich das Geräusch ihres regelmäßigen Atems. Inna ist eingeschlafen. Sie tut auch nicht nur so, als ob. Sie schlummert wirklich.
Ich wälze mich zurück auf meine Seite des Bettes, stopfe mir das Kissen unter den Kopf und starre an die Decke. Ich denke an die letzte Nacht, die Washington-Bar, Sylvia. Appetit holen ist erlaubt, gegessen wird zu Hause. So lautet die Regel. Bloß, dass zu Hause gerade gefastet wird.
6
A m nächsten Vormittag taucht überraschend mein Vater im Schuster’s auf. Wir begrüßen uns mit einer Umarmung, dann lässt er sich an einem der Tische vor der Tür nieder.
Achim hat vor einigen Jahren aufgehört, seine Haare zu färben. Er hat nun einen ähnlichen Look wie der alt gewordene Donald Sutherland. Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander. Wir vertragen uns, führen gute Gespräche – aber immer unter der Voraussetzung, dass wir uns nicht zu oft sehen.
Denn wenn es doch zu oft wird, kann er nicht anders, als klarzustellen, dass er immer noch der Silberrücken im Rudel ist. Achim sitzt in der Sonne, liest Zeitung, starrt den jungen Schanzenmädchen nach und bestellt drei Stunden lang Kaffee. Dabei druckst er jedes Mal seltsam herum. Eigentlich finde ich, dass es an ihm ist, mit der Sprache rauszurücken. Aber irgendwann knicke ich doch ein.
»Also los, sag schon. Worum geht’s?«, frage ich ihn und lasse mich an seinem Tisch nieder.
Er winkt ab. »Ach, nichts Besonderes.«
»Na, dann kann ich ja weitermachen«, sage ich und will gerade wieder aufstehen.
»Nein, warte, Alex.«
»Also?«
»Gott, ja, wie gesagt, nichts Besonderes. Ich wollte dir nur erzählen, dass ich wieder heiraten werde.«
»Oh«, sage ich.
»Das ist alles?«
»Was erwartest du?«, frage ich.
»Na ja, du könntest mir zum Beispiel gratulieren. Oder dich wenigstens darüber freuen, dass dein alter Herr endlich wieder glücklich ist.«
»Das wievielte Mal ist es? Ich habe den Überblick verloren.«
Er offenbar auch, denn bis ich eine Antwort bekomme, vergehen einige Minuten. »Das vierte Mal. Die Sache mit Laura nicht eingerechnet.«
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Laura war eine attraktive, aber komplett durchgeknallte Amerikanerin, die Achim gerade mal zehn Tage kannte, bevor sie sich das Jawort gaben. Das war vor zwei Jahren. Weitere vier Wochen später stellte sich allerdings heraus, dass komplett durchgeknallt keine Metapher und auch keine Übertreibung war. Laura hatte Achims damaligen Wagen zu Schrott gefahren, nachdem sie die Mülltonnen hinter einer McDonalds-Filliale in der Hamburger Innenstadt mit einem Drive-in verwechselt hatte. Zum Glück stellte sich heraus, dass Eheschließungen auf der Südseeinsel Palau – dort hatten sich die beiden bei einer Landparty im Rahmen der Kreuzfahrt, auf der sie sich kennengelernt hatten, trauen lassen – in Deutschland ohnehin nicht anerkannt werden. Aber auch schon davor hat es Achim auf drei Ehen gebracht, wobei die erste und längste davon die mit meiner Mutter war.
»Bis du denn nun endlich glücklich?«, greife ich den Faden wieder auf.
»Sieh mich an, mein Sohn. Und urteile selbst.«
Er macht eine Präsentationsgeste an sich selbst hinab – also an einem weißhaarigen, braungebrannten Edel-Rentner mit weit aufgeknöpftem Hemd, blauem Sakko und demonstrativ vor sich liegendem Porsche-Schlüssel.
Über die Männer meiner Generation wird ja oft gesagt, dass wir uns weigern, erwachsen zu werden. Wobei als Beweis meistens dient, dass wir spät heiraten, wenige Kinder haben und abends in Jeans und T-Shirts in Kneipen rumhängen und uns über Dinge unterhalten, über die wir auch schon als Sechzehnjährige geredet haben.
Mein Vater ist 72, heiratet alle paar Jahre, hat so viele Kinder, dass er sich deren Geburtstage nicht merken kann, hängt die meiste Zeit auf dem Golfplatz herum und redet den ganzen Tag über irgendwelche Oldtimer-Modelle, mit denen er am liebsten über die Alpen nach Italien fahren möchte. Wer, bitte schön, ist hier nicht erwachsen?
Aber keine Missverständnisse, Achim sieht in der Tat glücklich aus. Und ich gönne es ihm von Herzen.
Er ist seit etwa einem halben Jahr mit einem Mädchen namens Ludmilla zusammen, und wie es scheint, hat sie ihm endgültig den Kopf verdreht. Ich kann’s verstehen. Ludmilla ist 32 Jahre alt, stammt aus St. Petersburg und sieht genauso aus, wie man sich eine junge Russin an der Seite eines endgeilen vierzig Jahre älteren Mannes vorstellt: groß,
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