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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Räder sich im feuchtsandigen Untergrund nicht festfraßen. Vom Regenguss der vergangenen Nacht war nicht mehr geblieben als ein paar Wasserlachen. Zielstrebig fuhr er das Flussbett entlang bis zu der Stelle, wo in der Nacht die beiden Fahrzeuge geparkt hatten. An der Felswand hinter den Tamariskenbüschen hatten er und Aquilar das Licht und die Gestalten gesehen. Will bahnte sich einen Weg durch das Buschwerk und stieg den Hang aus rötlichem Geröllschutt zur Felswand hinauf.
    Kaye folgte ihm, und er reichte ihr seine Hand, um ihr hinaufzuhelfen.
    Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen und umklammerte Kayes Hand, als hätte er Angst, sonst in die Tiefe zu stürzen. Er sah aus, als wäre alles Blut aus seinem Gesicht gewichen.
    Und dann sah sie, was er sah.
    Kokopelli war fort. Der in die dunkle Patina des Felsens geritzte Flötenspieler war in einem Rechteck sauber ausgesägt und mit seinem Felsuntergrund aus der Wand gelöst worden.
    »Das gibt es doch nicht!« Kaye starrte erschrocken auf den hellen Fleck in der Wand. Eidechsen huschten auf der Suche nach Insekten kreuz und quer über die Felswände. Für sie machte es keinen Unterschied, ob der Flötenspieler da war oder nicht.
    »Diese verdammten Schweine! Die schrecken aber auch wirklich vor nichts zurück!« Will strich mit den Fingern behutsam über die beschädigten Zeichnungen. So viel Respekt lag in dieser Geste.
    Als er sich umwandte, sah Kaye Tränen in seinen Augen. Das letzte Mal, als sie ihn hatte weinen sehen, war er kurz darauf davongelaufen und hatte sie allein im Canyon zurückgelassen. Ihre damalige Verwirrung hatte sie bis heute nicht vergessen. Kaye hoffte, dass er diesmal nicht davonlaufen, sondern reden würde.
    »Ich wusste nicht, dass sie dir so viel bedeuten«, sagte sie. »Ich meine, die Anasazi waren schließlich nicht unsere Vorfahren.«
    Will stützte sich mit der Hand von der Felswand ab und hockte sich auf einen Stein. Seine Hände hingen zitternd zwischen seinen Knien. Mühsam schluckte er die Tränen hinunter und rang nach Worten für seine Gefühle.
    Schließlich, nach einer ganzen Weile, sagte er: »Mein Leben ist ziemlich durcheinander, Kaye, und da ist nicht viel, woran ich mich festhalten kann. Ich dachte, es gibt nichts, was so dauerhaft ist wie diese in den Fels geritzten Figuren. Egal was passierte, sie waren immer da, verstehst du? Sie waren mein Zuhause. Jetzt hat sie einfach jemand herausgesägt. Jemand, der keinen Respekt vor der Ewigkeit hat.« Er wischte sich mit der Faust über die Augen, sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab, wenn er schluckte. »Großvater sagt, die Geheimnisse der Vergangenheit werden immer da sein, um uns zu lehren; zu lehren und auch zu warnen, dass die Zukunft nicht wie die Gegenwart sein wird.« Wieder schwieg er eine Weile und sagte dann: »Ich kann nicht ungeschehen machen, was hier passiert ist, aber ich nehme es persönlich, schon wegen Aquilar. Diese Felsbilder sind ein Vermächtnis. Niemand hat das Recht, sie für sich selbst zu beanspruchen. Schon der Gedanke ist absurd.«
    Kaye, die vor ihm stand, nickte. »Ich habe es dir heute Morgen schon gesagt«, sagte sie. »Die Polizei wird sich sehr für die Männer interessieren, die über Aquilar Yazzies Beine gefahren sind und so etwas getan haben.« Sie wies auf das hellrote Loch in der Wand.
    Will schüttelte den Kopf. »Und ich sagte dir, ich will nichts mehr mit der Polizei zu tun haben. Auch nicht wenn es Indianerpolizei ist.«
    Sie lächelte über den Ausdruck Indianerpolizei . »Onkel Totsoni ist wirklich in Ordnung, schwer in Ordnung. Überleg es dir, Will. Allein werden wir es nicht schaffen. Du hast gesehen, was sie mit deinem Freund gemacht haben. Ich will dich nicht auch noch im Krankenhaus besuchen müssen.«
    Eine Weile sagte er nichts, dann stand Will auf, machte einen Schritt auf sie zu und umarmte sie fest. Kaye hielt den Atem an. Sie hörte ihr Herz an seinem schlagen, spürte sein Kinn an ihrem Kopf und zitterte vor Glück. Es war lange her, dass Will sie in den Arm genommen hatte. Diese Umarmung bedeutete ihr mehr als alles, was er seit seiner Rückkehr gesagt oder getan hatte.
    Will löste sich von ihr, und Kaye hatte gerade wieder angefangen zu atmen, als er seine Lippen auf ihre legte und sie küsste. Es ging so schnell, dass sie sich zwei Sekunden später nicht mehr sicher war, ob sie nur geträumt hatte.
    »Also gut«, sagte er. »Fahren wir zurück nach Window Rock und besuchen deinen Polizistenonkel. Aber

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