Zweiherz
nur«, sagte die Dame in Weiß laut. »Er wird schon aufwachen.« Sie war schätzungsweise über vierzig, dick wie ein Kürbis und verbreitete Schweißgeruch.
»Wir hätten vorher gerne mit jemandem gesprochen, der über seine Verletzungen Bescheid weiß«, sagte Kaye.
»Da kommt Dr. Lomatewa, er hat ihn operiert.«
Kaye und Will wandten der unfreundlichen Schwester den Rücken zu. »Hat Aquilar sein Bein noch?«, fragte Will den indianischen Arzt, bevor er das Zimmer betreten konnte. »Wird er wieder laufen können?«
Dr. Lomatewa zog die schwarzen Augenbrauen nach oben. »Gehören Sie zur Familie?«
»Nicht direkt«, stotterte Will, »aber...«
»Hören Sie«, brach es aus Kaye heraus, die sich von Lomatewas weißem Kittel nicht beeindrucken ließ, »er war dabei, als es passierte, und er ist sein bester Freund. Will hat dem Jungen da drin das Leben gerettet. Nun sagen Sie uns schon, was mit Aquilar Yazzies Beinen los ist!«
Lomatewa presste die Lippen aufeinander, bevor er sagte: »Beide Beine sind gebrochen. Das rechte einmal, das linke zweimal, mit einem offenen Bruch im Unterschenkel. Die Durchblutung war gestört, aber das haben wir erst einmal wieder hingekriegt. Nun kommt es darauf an, dass sich keine Infektion bildet.«
»Hört sich so an, als wäre es ziemlich knapp gewesen«, sagte Will mit gefurchter Stirn.
Der Arzt nickte. »Ja. Wäre er erst zwei oder drei Stunden später ins Krankenhaus gekommen, wäre das Bein nicht zu retten gewesen. Aber um Ihre Frage zu beantworten, junger Mann: Mit etwas Glück wird Ihr Freund wieder laufen können. Doch fragen Sie mich nicht, wie, und vor allem nicht, wann . Es wird dauern. Es liegt an ihm, wie schnell er selbst wieder auf den Beinen sein will. Der Anfang wird mühsam sein und vor allem wehtun.«
»Danke, Doc«, sagte Will.
Lomatewa klopfte ihm so unerwartet kräftig auf die Schulter, dass er einen Schritt nach vorn machte. Dann eilte der Chirurg weiter.
Aquilar lag unverändert reglos in seinem Bett. Er hatte die Augen immer noch geschlossen. »Hallo, sik’is «, sagte Will zu ihm.
Aquilar schlug die Augen auf. »Ich habe alles mit angehört.«
»Hi«, sagte Kaye mit einem kleinen Lächeln.
»Setzt euch!« Aquilar drehte den Kopf in Richtung der orangefarbenen Plastikstühle neben dem Waschbecken. Sie zogen die Stühle an sein Bett und setzten sich.
»Keine Süßigkeiten?«, fragte er und machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Sorry«, sagte Kaye, »das nächste Mal bestimmt. Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten.«
Doch dann wurde Aquilar ernst. »Scheiße!«, sagte er bitter. »Ich werde den ganzen Sommer in diesem Bett festliegen.«
»Aber du hast deine Beine noch«, rutschte es Will heraus.
»Tut es schlimm weh?«, erkundigte Kaye sich.
»Es geht so. Im Moment ist alles noch ziemlich taub. Die Brüche in den Oberschenkeln sind glatte Schrägbrüche, da haben sie Metallplatten auf die Knochen gesetzt, um sie zusammenzuhalten. Im Schienbein hab ich einen langen Nagel.«
Will wandte seinen Blick von Aquilars Beinen unter der dünnen Decke ab und starrte auf den kleinen Brandfleck im Linoleum zu seinen Füßen. Mit der einen Hand presste er nervös die Finger der anderen. »Es tut mir leid, Aquilar, das ist alles meine Schuld.«
»Erzähl nicht solchen Quatsch«, sagte Aquilar. »Du hast gesagt, ich soll warten, aber ich wollte unbedingt mit dir kommen. Ich konnte dich doch nicht allein lassen. Sonst würdest du jetzt vielleicht hier liegen.«
»Dann wäre mir weitaus wohler.« Will stand abrupt auf und trat ans Fenster.
Kaye schluckte beklommen und sah Aquilar traurig an.
»Ich glaube nicht, dass dir das gefallen würde«, bemerkte der trocken. »Außerdem: Es ist nun mal passiert und nun muss ich damit fertig werden. Ich hatte eine verdammte Scheißangst um mein Bein, das kann ich euch sagen. Die Ärzte dachten, ich höre sie nicht, als sie über meine Chancen redeten.« Er seufzte, und nach einer Weile fragte er: »Wissen meine Leute schon Bescheid?«
»Wir waren dort.« Kaye nickte. »Aber wir haben nur deine Großmutter angetroffen und wollten sie nicht erschrecken. Deshalb haben wir ihr nur das Nötigste erzählt. Wir fahren auf dem Heimweg noch mal vorbei.«
»Sie sollen mir Bücher mitbringen, wenn sie herkommen«, bat Aquilar. »Und nun verschwindet, ich bin hundemüde, und mir ist ziemlich schummrig im Kopf. Außerdem habt ihr eine Menge Arbeit vor euch. Ich will nämlich, dass meine kaputten Beine gerächt
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