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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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werden.«
    Kaye blickte überrascht auf. Dass er so etwas sagen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. »Rache, Aquilar?«, fragte sie. »Ist das dein Ernst?«
    Auch Will drehte sich verwundert um. Als Aquilar keine Antwort gab, sagte er: »Okay.« Und in seinen Augen erschien mit einem Mal ein seltsames Leuchten. »Ich werde herausfinden, wer die Typen im Canyon waren und was sie dort wollten, verlass dich drauf. Und wenn sie noch im Reservat sind, dann finde ich sie. Das verspreche ich dir.«
    »Und was ist mit der Polizei?«, fragte Kaye in Wills düsteres Versprechen hinein. »Du solltest das nicht im Alleingang machen, Will. Die Männer sind gefährlich.« Sie sah den Jungen an. »Aquilar?«
    »Diese Entscheidung überlasse ich Will«, sagte er. »Es ist sein Land und das Land wird auch eine Antwort wissen.«
    »Aber...?« Kaye wollte nicht glauben, was der Junge da sagte.
    Will unterbrach ihr Gestotter. »Überlass die Sache mir, okay? Es wird Zeit, dass ich nachsehe, was die Männer überhaupt im Canyon gemacht haben.«
    Die Krankenschwester polterte ins Zimmer. »Die Besuchszeit ist zu Ende, meine Herrschaften.« Und zur Demonstration ihrer Macht steckte sie Aquilar ein riesiges Fieberthermometer in den Mund.
    Im April hatten Regen und schmelzender Schnee wartende Samen geöffnet und einen Hauch von grüner Frische über die Landschaft gelegt. Aber der Frühling im Big Res war nur ein kurzes Gastspiel gewesen. Gerade lang genug, um die Schalen der Samen aufbrechen zu lassen und den jungen Keimen die Möglichkeit zu geben, eine Wurzel zu bilden und sich in der staubigen Erde einzugraben. Kamen sie tief genug, dann hatten sie eine Chance, den glühenden Sommer zu überleben.
    Jetzt beugten sich die Pflanzen unter der sengenden Hitze, dorrten in der Halbwüste und warteten dürstend auf Regen. In Holbrook hatte es kein Sommergewitter gegeben, die Regenwolken waren in weiter Ferne vorbeigezogen.
    Kaye und Will hielten an einer Imbissbude am Straßenrand und aßen jeder einen Indian Taco. Kaye betrachtete Wills Gesicht und merkte, wie müde er war. Ihm fehlte Schlaf. Jetzt wo er nichts mehr tun konnte, brachen die Anstrengungen der letzten Nacht mit Macht über ihn herein.
    Aber sie wusste auch, dass der Gedanke an Rache ihn wach halten würde. Will hatte seinem Freund Aquilar ein Versprechen gegeben. Es einzulösen, würde ihn eine Weile von seinem eigenen, geheimnisvollen Kummer ablenken. Ob das nun gut war oder schlecht, Kaye wusste es nicht. Sie war einfach nur froh, mit Will zusammen zu sein.
    Als sie später zum zweiten Mal an diesem Tag das allein stehende Haus der Familie Yazzie aufsuchten, war Aquilars Mutter zu Hause. Sie erzählten ihr, was vorgefallen war. Louisa Yazzie nickte nur, stellte ein paar Fragen und machte sich dann daran, Sachen für ihren Sohn zusammenzupacken. Will hatte keinen Vorwurf von ihr zu hören bekommen, trotz der furchtbaren Besorgnis, die im Gesicht der Frau zu lesen war.
    Seltsamerweise hatte Louisa Yazzie nicht danach gefragt, ob Will und Kaye die Polizei verständigt hatten. Entweder sie hielt es für selbstverständlich oder sie legte keinen Wert darauf. Bei einer traditionellen Familie wie den Yazzies war Letzteres durchaus möglich.

    »Willst du mal fahren?«, fragte Kaye unvermittelt, als sie sich von Aquilars Mutter verabschiedet hatten.
    Die Frage kam so überraschend für Will, dass er nahe dran schien, ihr Angebot abzulehnen. Doch dann sagte er: »Ja, warum nicht?«
    Er stieg auf den Fahrersitz, und nach zwei Fehlversuchen gelang es ihm, den Wagen zu starten. Kaye unterdrückte ein Lächeln, klammerte sich aber dann verunsichert ans Armaturenbrett, als er auf die Asphaltstraße bog und den Wagen auf 70 Meilen pro Stunde beschleunigte.
    »Wenn sie dich jetzt schon bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung erwischen, kriegst du nie einen Führerschein«, sagte sie.
    »Ich wollte nur mal sehen, ob ich noch fähig bin, dir Angst einzujagen.«
    »Seit du wieder hier bist, tust du nichts anderes.«
    »Wirklich?« Will nahm den Fuß vom Gaspedal und warf Kaye einen kurzen Seitenblick zu. Ihr Gesicht war jetzt ernst.
    »Wirklich«, sagte sie.
    »Ist keine Absicht.«
    Irgendwie sah er nicht so aus, als ob sie ihm das glauben sollte. Aber wenigstens hatte er nicht, wie befürchtet, seinen Sinn für Humor verloren. Das Lachen war noch nicht zu ihm zurückgekehrt, aber Kaye mochte es, wenn er sie neckte. Das war Navajo-Art und bedeutete: Will Roanhorse ist immer noch stark,

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