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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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strich mit dem Daumen behutsam über den Rücken von Madisons Zeigefinger und genoss die Wärme ihrer Hand. »Du bist wirklich das einzige Mädchen, das immer warme Hände hat«, murmelte er.
    »So? Wie viele Mädchen hast du denn schon berührt?«
    Na toll, Jay!
    »Nein, ich meinte doch nur …«
    »Zu spät.« Sie lachte, aber irgendwie passte die Ironie heute nicht zu ihr. Es hörte sich nicht echt an. Wir kennen uns wirklich kaum .
    »Komm, wir sind gleich da!«
    Nach ein paar Schritten blieb Madison direkt vor einem Baum mit unglaublich dickem Stamm stehen. Sie ließ seine Hand los und legte beide Hände fast zärtlich auf die glatte Rinde. Sogar im Mondlicht konnte er erkennen, dass im Stamm unzählige Herzen und Namen eingeritzt waren. »Der älteste Baum Brooklyns«, flüsterte Madison. »Er hat sogar einen Namen. Die Leute nennen ihn Forever  – viele glauben daran, dass man seine Initialen in seine Rinde ritzen muss, damit eine Liebe ewig hält.«
    Jay musste sich räuspern. »Glaubst du daran?«
    »Natürlich nicht. Das ist Aberglaube für kleine Mädchen. Aber vielleicht muss man ja einfach nur verliebt genug sein?« Im Mondlicht wirkte ihr Lächeln sanfter und noch geheimnisvoller. »Manche Leute sagen, wenn man sich hier küsst, findet man heraus, ob es der Richtige ist.«
    Er versuchte ein letztes Mal, die spröde Madison wiederzufinden, die er aus der Schule kannte, aber sie war … wie Tag und Nacht .
    »Ist das ein Test, ob ich doch auf Esoterik stehe?«, fragte er mit einem Lächeln. »Wenn ja, muss ich dich enttäuschen. Ich weiß auch ohne Mond und Baum, ob ich verliebt bin. Das mit dem Kuss allerdings …«
    Im Baum über ihnen flatterte eine Taube auf und entfernte sich mit weichen Flügelschlägen. Eine Flaumfeder trieb durch die Luft und landete auf Madisons Haar. Sie wich nicht zurück, als er die Feder aus dem Haar zupfte und ihr mit dem Handrücken behutsam über die Wange strich. Es war ein kleiner, funkelnder Moment von Nähe. Es glühte warm in seiner Brust auf, als sie den Kopf schief legte und ihre Wange in seine Hand schmiegte. Ob der Mond nun ein beschienener Fels war oder nicht, das hatte definitiv etwas Magisches. Behutsam umfasste er mit beiden Händen ihr Gesicht und beugte sich über sie. Die Mädchen, die er bisher geküsst hatte, hatten immer die Augen geschlossen, noch bevor sich ihre Lippen berührten. Madison aber sah ihn immer noch an. Es war irritierend und es war trotzdem perfekt. Zu perfekt. Vermutlich träume ich …
    Ein brechender Zweig knackte laut wie ein Schuss und ließ sie beide zusammenzucken. Es war nur ein kurzer Blick, den Jay über Madisons Schulter warf, nur eine Augenbewegung, und doch änderte es alles.
    »Was ist?«, fragte Madison.
    Die Magie des Moments verpuffte. Madison griff nach seinen Handgelenken, entzog sich ihm und blickte über die Schulter, aber das, was er eben noch flüchtig erahnt hatte, war verschwunden. Erst als sie sich ihm erneut zuwandte, sah er es wieder: einen hellen, flüchtigen Fleck im Schatten, der ein Gesicht sein mochte. Und der metallische Mondglanz einer Klinge. Jetzt verwandelte sich auch der letzte Rest Zauber in kalten Schreck. Weg von ihr!
    »Madison«, flüsterte er, »komm mit.«
    »Was …«
    Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie hinter den Baum.
    »Bitte frag nicht. Komm einfach mit.«
    Es kostete ihn Überwindung, ruhig zu bleiben, obwohl ihm das Blut in den Ohren rauschte. Und zum Glück folgte ihm Madison, als er auf den Weg zuhielt, der zum Ausgang führte. Erst beim Parkplatz blieben sie stehen. Niemand war ihnen gefolgt.
    »Was war da hinten?«, fragte Madison atemlos. »War da jemand?«
    Jay schluckte. Hier, wo er die Geräusche der Stadt wieder wahrnehmen konnte, erschien es ihm plötzlich so lächerlich, vor einem Phantom wegzulaufen, dass er sich schämte.
    »Ich … dachte, ich hätte jemanden gesehen.«
    »Wen?«
    Ein Mädchen. Fast wäre ihm diese Antwort rausgerutscht. Seltsamerweise kam ihm in diesem Moment Ivys Ermahnung in den Sinn, nichts zu verraten. »Keine Ahnung. Tut mir leid, ich wollte dir keine Angst machen.« So weit war es nun auch schon: Er gehorchte einer Fata Morgana.
    Immer noch lag sein Arm um Madisons Schulter, er spürte, wie sie sich mit einem Mal versteifte. »Weißt du es wirklich nicht oder willst du es mir nicht sagen?« Sie sah wieder in Richtung Park. Man hörte nun ein paar Stimmen von anderen Leuten und das schrille Kläffen eines kleinen Hundes. »Da war nicht

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