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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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als hätte sie ihm gesagt, was er ohnehin langsam begriff. Ich werde es nie erfahren. Es ist, wie es ist.
    In der Ferne spannte sich die Brooklyn Bridge über den Fluss. Ganz Brooklyn war ein Herbstwald und Manhattan eine versunkene Maja-Stadt mit alten, zum Himmel strebenden Tempelruinen. Und einige der Menschenopfer schlafen heute noch dort unten .
    Ein klagender, schauriger Laut trieb zu ihnen herüber.
    »Das waren also die Reparaturarbeiten: die Geräusche, die die Brücke macht«, sagte er mehr zu sich selbst.
    »Ja, die dicken Metallseile verziehen sich und reißen aus ihren Verankerungen, jeden Winter sind es ein paar mehr«, erklärte Ivy. »Teile der Brücke schwingen bei Wind, das hört sich an wie Kreischen und Jammern.«
    »Es ist wirklich eine Dornröschenstadt geworden.«
    »Oh ja«, sagte Ivy andächtig. »Ist sie nicht schön?« Und mit einer Begeisterung, die ihn überwältigte, fügte sie hinzu: »Schau einmal genau hin!«
    Zögernd folgte er mit dem Blick ihrer ausgestreckten Hand, die die ganze Insel mit einer Geste umfasste. Und so, als hätte ein Kameramann den Fokus geändert, fielen Jay plötzlich ganz andere Dinge auf. Die Buchten und kleinen Sandstrände zum Beispiel, die sich im Lauf des Jahrhunderts an den Flussufern gebildet hatten. Zum ersten Mal sah er die Stadt nicht nur mit den Augen des Verlusts, sondern nahm all das Neue wahr, die gigantischen Bäume und die Vielfalt von Pflanzen, die Kraft dieser Wildnis, die vor Leben zu vibrieren schien.
    »Es ist wirklich schön!«
    Sie lachte leise. »Das klingt ja, als würdest du dich darüber wundern.«
    Er sog die Luft ein und musste unwillkürlich lächeln. »Vielleicht tue ich das ja.«
    Jetzt konnte er aus dem Augenwinkel sehen, dass sie ihn musterte.
    »Glaubst du, da unten gibt es noch viele Schläfer?«, fragte er.
    »Das weiß keiner. Warum?«
    »Ich würde immer noch da unten liegen, so wie Dornröschen und so viele andere, wenn sie mich nicht geweckt hätte. Habt ihr nie daran gedacht …«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Habt ihr nie versucht, mit den Wächtern zu sprechen? Sie sind keine willenlosen Sklaven. Vielleicht wären einige von ihnen sogar auf unserer Seite …«
    Unsere Seite. Er stutzte, als ihm bewusst wurde, was er da eben gesagt hatte. Paradoxerweise fühlte es sich an, als würde er Charlie und Madison gleichzeitig verraten.
    »Keine willenlosen Sklaven?« Ivy sah ihn an, als sei er verrückt geworden. Dann schüttelte sie heftig den Kopf. »Nein! Niemals. Du magst mir etwas von Handys und Zirkusratten erzählen können, aber von dieser Welt hast du keine Ahnung. Menschen und magische Wesen sind Todfeinde. Und ein Tier, das sich dir gegenüber auch nur im Geringsten zutraulich benimmt, bringst du am besten gleich zur Strecke. Es könnte ihr Werkzeug sein – wie der Kojote, den du für deinen Hund gehalten hast.«
    Eine Weile starrten sie beide auf die Trümmer des Empire State Buildings. Und wir sehen beide etwas völlig anderes darin . Beim Gedanken daran, wie viel sie trotz allem trennte, sank ihm der Mut. Fieberhaft suchte er nach einer Gemeinsamkeit.
    »Du hast mir das Märchen von Dornröschen erzählt, als ich krank war, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte sie betont beiläufig.
    »Woher kennst du es?«
    »Aus Überlieferungen – und manche Clans besitzen noch Bücher, die noch nicht ganz zerfallen sind. Wir tauschen uns aus, denn Märchen sind nichts anderes als Waffen, Lektionen und Landkarten im Reich der magischen Kräfte. Es ist die Aufgabe eines Tricksters, sie zu kennen und aus ihnen zu lesen. Ich muss unsere Feinde kennen, alle Erscheinungsformen, und ich muss die Geschichten und Gesetze verstehen, damit ich mit ihnen umgehen kann …«
    Die Feinde , wiederholte er in Gedanken. Er presste die Lippen zusammen und widersprach ihr nicht. Und wer weiß, vielleicht hat sie ja recht . Und dennoch, die Erinnerung an Madison und Aidan fühlte sich anders an.
    »Hättest du gedacht, dass eure Märchen in Wirklichkeit die Geschichtsbücher der Menschheit sind?«, fuhr Ivy fort. »Alles andere – das Zeitalter, in dem die Magie sich zurückzog und Atem holte, um die Menschheit auszupusten wie eine Flamme – war nur eine kurze Ruhepause im Sturm. Weißt du, wie man euer Zeitalter nennt?«
    Jay schüttelte den Kopf.
    »Die Zeit der Blinden. Eure Nachfahren mussten wieder mühsam lernen, zu sehen und mit ihren Kräften umzugehen.«
    Bizarrerweise fielen ihm die ganze Esoterik-Shops ein, Heilsteine gegen böse

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