Zweimal ist einmal zuviel
Tür traten die Verstorbenen ihre letzte Reise an.
Als Con Stiva vor zwei Jahren einen Innenarchitekten mit der Verschönerung des Instituts beauftragt hatte, hatte dieser sich bei der farblichen Gestaltung für Malve und Limone entschieden und die Wände mit idyllischen Landschaftsgemälden geschmückt. Sämtliche Räume wurden mit dicken Teppichböden ausgelegt, bis nichts mehr knarrte oder knackte. Und nun trieb Kenny auf leisen Sohlen sein Unwesen in diesem Haus.
Im Korridor stieß ich auf Spiro. »Ich muß mehr über Kenny erfahren«, sagte ich. »Wo würde er sich verstecken? Wer würde ihm helfen? An wen könnte er sich wenden?«
»Die Morellis und Mancusos sind Familienmenschen. Wenn von denen einer den Löffel abgibt, könnte man meinen, die ganze Sippe wäre gestorben, so wie die uns hier in ihren häßlichen schwarzen Klamotten die Bude vollheulen. Ich schätze, Kenny hat sich irgendwo auf einem Mancusoschen Dachboden verkrochen.« Davon war ich nicht unbedingt überzeugt. Wenn dem so gewesen wäre, hätte Morelli es inzwischen längst herausbekommen. Die Mancusos und Morellis waren nicht gerade berühmt dafür, daß sie Geheimnisse für sich behalten konnten.
»Und wenn er nicht auf einem Mancusoschen Dachboden hockt?«
Spiro zuckte mit den Schultern. »Er ist oft nach Atlantic City gefahren.«
»Hat er außer Julia Cenetta noch andere Freundinnen?«
»Sie können ja mal das Telefonbuch durchgehen.«
»So viele, hm?«
*
Draußen mußte ich mich noch etwas in Geduld fassen, bis mein alter Bekannter Al, der Automechaniker, den Reifen gewechselt hatte. Aber schließlich wischte er sich doch noch die Hände am Overall ab und gab mir die Rechnung.
»Hatten Sie nicht einen Jeep, als ich Ihnen das letzte Mal einen neuen Reifen montiert habe?«
»Der Jeep wurde geklaut.«
»Haben Sie sich schon mal überlegt, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen?«
»Wo ist der Schraubenzieher abgeblieben?«
»Im Kofferraum. Vielleicht können Sie ihn irgendwann gebrauchen.«
Bis zum Salon Clara war es nicht weit, nur drei Straßen weiter die Hamilton hinunter. Als ich eine Parklücke für den Buick entdeckte, biß ich die Zähne zusammen, hielt den Atem an und setzte mit Karacho rückwärts hinein. Je schneller ich die Prozedur hinter mich brachte, desto besser. Daß es ein bißchen knapp geworden war, wußte ich, als es hinter mir schepperte.
Ich stieg unauffällig aus und besah mir den Schaden. Dem Buick war nichts passiert. Der andere Wagen hatte einen kaputten Scheinwerfer. Nachdem ich einen Zettel mit meinem Namen und meiner Versicherung hinter den Scheibenwischer geklemmt hatte, steuerte ich den Salon Clara an.
In diesem Teil der Stadt drehte sich fast das ganze Leben um Kneipen, Bestattungsinstitute, Bäckereien und Frisiersalons, wobei letztere eine besonders wichtige Rolle spielten, da unser Viertel aufgrund einer Zeitschleife in den fünfziger Jahren steckengeblieben war. Dies hatte zur Folge, daß die Mädchen schon in sehr jungen Jahren anfingen, sich nur noch für Frisuren zu interessieren. Ehe sie etwas mit Jungen unternahmen, verbrachten sie lieber jede freie Minute damit, ihre Barbiepuppen zu frisieren. Barbie setzte die Maßstäbe, an denen sich alles orientierte. Lange schwarze Wimpern, stahlblauer Lidschatten, vorstehender Spitzbusen und eine platinblonde Haarpracht. Das war es, wonach jede Frau strebte. Barbie zeigte uns sogar, wie wir uns kleiden sollten. Enge Glitzerkleider, knappe Shorts, die eine oder andere Federboa und natürlich Stöckelschuhe zu jeder Gelegenheit. Dabei hätte Barbie heutzutage noch einiges mehr zu bieten gehabt, aber die Mädchen aus meinem alten Viertel fielen nicht so leicht auf eine Yuppie-Barbie herein. Sie wollten nichts wissen von sportlich elegantem Schick oder von Kostümen für die erfolgreiche Karrierefrau. Sie wollten aussehen wie Filmstars.
Meiner Meinung nach hinkte unser Viertel der Entwicklung inzwischen so weit hinterher, daß wir den Rest des Landes schon wieder überholt hatten. Wir hatten uns gar nicht erst lange damit abgegeben, Geschlechterrollen in Frage zu stellen. Bei uns konnte jeder Mensch so sein, wie er wollte. Bei uns hatte es noch nie einen Kampf Mann gegen Frau gegeben. Bei uns hieß es von jeher Schwach gegen Stark.
Schon als kleines Mädchen hatte mir Clara die Haare geschnitten. Sie frisierte mich für die Erstkommunion und den High-School-Abschlußball. Inzwischen ließ ich mir die Haare in der Stadt bei Mr. Alexander
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