Zwergenkinder, Band 02 - Bekker, A: Zwergenkinder, Band 02
sie nun fürwahr keine Gefahr darstellen.«
Sie ließen die Elbenpferde und ihr Gepäck in Derrys Herberge, dann führte Ambaros sie zu dem Geheimen Tempel, einem imposanten Kuppelbau. Er war eines der größten Gebäude in der Stadt. An diesem Tempel war manches anders, als man es von so einem Bauwerk erwartete.
Tomli bemerkte als Erstes, dass das Säulenportal zugemauert war. »Es scheint überhaupt nicht vorgesehen zu sein, dass jemand den Tempel betritt«, stellte er überrascht fest.
»Darum heißt er ja der Geheime Tempel«, erklärte Ambaros. »Nur ganz wenige Würdenträger dürften ihn betreten. Das ist schon seit vielen Jahrhunderten so, vielleicht sogar schon seit Jahrtausenden. Niemand weiß das so genau. Der Fürst von Cosanien betritt den Tempel aber bei jedem Vollmond, und zwar durch eine Nebentür, die sich auf der anderen Seite des Baus befindet. Was er dort tut, weiß niemand.«
Olba sah Tomli an. »Du wirst dort drinnen die Axt finden, Tomli«, prophezeite sie. »Allerdings wird man sie dir aus der Hand reißen.«
»Wer?«
»Das kann ich nicht sehen. Es ist ein dunkler Schatten, der urplötzlich auftaucht – schneller, als du dich gegen ihn zu wehren vermagst.«
»Klingt nicht besonders gut«, meinte Tomli.
»Und dann ist da noch etwas. Auf deiner Stirn …“
Da erst bemerkte es Tomli auch auf Olbas Stirn. Die Zwergenrune Ubraks zeichnete sich deutlich darauf ab. Bei Arro war es genauso.
Als sich Tomli an Meister Saradul wenden wollte, stand dieser mit geschlossenen Augen da und war offenbar sehr konzentriert. »Hier herrscht tatsächlich eine starke magische Kraft«, murmelte er. »Und sie ist mit Ubraks Axt verbunden. Aber da ist noch etwas anderes. Etwas, das ich nicht erklären kann.«
»Wir sollten uns den Nebeneingang ansehen«, schlug Lirandil vor. »Anschließend werden wir aber wohl bis zum Einbruch der Dunkelheit warten müssen, ehe wir etwas unternehmen können.«
»Das sollten wir nicht tun«, sagte Olba.
»Warum nicht?«
»Weil vorher etwas geschehen wird! Ich kann nicht genau sagen was, aber …“
In diesem Moment drang ein Schrei vom Himmel herab. Ein Raunen ging durch die Menge der Menschen, die sich auf dem Platz vor dem Tempel befanden, und alle blickten empor.
Mit ausgebreiteten Flügeln und geöffnetem Schnabel flog in großer Höhe und damit unerreichbar für jeden Pfeil ein Greif. Er ruderte mit den Löwenpranken, so als würde er mit einem unsichtbaren Gegner kämpfen.
Gleichzeitig umgab plötzlich ein heller Schimmer die Kuppel des Tempels.
»Man sagt, dass manche Greife die Zukunft erahnen«, sagte Meister Saradul. »So ähnlich wie du, Olba.«
»Könnte es sein, dass der Greif genau deswegen hier ist?«, fragte das Zwergenmädchen. »Weil er dasselbe vorhersieht wie ich?«
»Gut möglich …“ Saradul fuhr sich nachdenklich über den Bart.
»Es hat irgendetwas mit einem Baum zu tun«, sagte Olba. »Und in dem Baum steckt die Axt!«
»Ein Baum?«, fragte Tomli. »Hier in der Stadt?«
»Im Tempel. Aber ich bin mir nicht sicher. Schließlich kenne ich mich mit Bäumen nicht aus. Die ersten, die ich gesehen habe, waren die an den Ufern des Cosanischen Stroms, also kann es sein, dass ich mich irre.«
»Auf jeden Fall solltet ihr eure Helme etwas weiter in die Stirn ziehen«, schlug Lirandil vor. »Eure Zwergenrunen sind vermutlich zurzeit selbst für halbblinde Menschenaugen zu erkennen, und damit könnten wir auffallen.«
»Das liegt daran, dass die Zauberaxt in der Nähe ist, nicht wahr?«, fragte Arro.
Der Greif am Himmel ließ noch einen weiteren Ruf hören und verschwand dann in so große Höhe, dass er für Zwergenaugen nicht mehr auszumachen war. Auch das Schimmern, das der Tempel ausgestrahlt hatte, löste sich auf.
Der Greif war aus demselben Grund hier wie sie, dachte Tomli. Und wenn er tatsächlich in der Lage war, die Zukunft zu erahnen, dann war er sicher genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen – zu einem Zeitpunkt, da irgendetwas geschehen würde …
Sie umrundeten das Tempelgebäude, das von einem großen Platz umgeben war. Auf diesem herrschte viel Betrieb. Fuhrwerke polterten über das unebene Pflaster, und Marktschreier priesen ihre Waren an.
Die Aufregung unter den Leuten wegen des Greifen war immer noch spürbar. Tomli konnte genug von ihren Gesprächen aufschnappen, um zu verstehen, dass sie große Angst hatten. Ob vor dem Greifen oder jener Macht, die im Tempel lauerte, das wurde für ihn allerdings nicht ganz klar.
Der
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