Zwergenkinder, Band 02 - Bekker, A: Zwergenkinder, Band 02
sehr schnell!«, stellte Olba erschrocken fest. »Bald wird er die Tempeldecke erreicht haben und sie zum Einsturz bringen! Runter hier und raus aus dem Tempel, sofort!«
Ihre letzten Worte waren mehr ein Schrei. Sie riss Tomli mit sich, der noch versuchte, den Illusionszauber aufrechtzuerhalten. Aber das machte wohl kaum noch Sinn. Die Kräfte in dem Stumpf des Schicksalsbaums waren durch die Zauberaxt über Zeitalter hinweg eingedämmt worden. Das war das Geheimnis des Tempels. Für Tomli war klar, dass das Trugbild der Zauberaxt diese Kräfte nicht bändigen konnte.
Einen Augenblick später zerplatzte das Bild einfach. Es war nicht mehr da.
Die Zwergenkinder stolperten zum Rand des immer höher wachsenden Stumpfes. Inzwischen war er nicht mehr zwergenkniehoch, sondern hätte bereits einem Elben bis zur Stirn gereicht. Sie sprangen hinab und landeten ziemlich unsanft auf dem Boden.
Überall bewegten sich die Wurzeln. Sie wurden dicker und ließen die Steinplatten des Tempelbodens zerplatzen. Risse zogen sich dahin. Manchmal tauchte plötzlich ein dicker Wurzelstrang aus dem Untergrund auf und schien nach ihnen zu greifen wie ein Tentakel.
»Vielleicht hätten wir die Axt lassen sollen, wo sie war«, rief Arro betroffen.
»Und der Weltenriss?«, hielt Olba dagegen. »Wir hatten doch keine Wahl!«
»Außerdem hätte Ubraks Axt die Magie des Baums nicht mehr lange gebannt«, war Tomli überzeugt. »Wir alle haben draußen das laute Knarzen gehört, das aus dem Tempel kam. Und darum war auch der Greif hier.«
Der Baum schoss mittlerweile förmlich in die Höhe. Äste ließen die bunten Fenstergläser bersten und schoben sich ins Freie.
Innerhalb kurzer Zeit hatte der Baum das Kuppeldach des Tempels erreicht, das für ihn ebenfalls kein Hindernis darstellte. Der Stamm teilte sich in mehrere mächtige Äste, die sich ins Gestein bohrten und durch das Dach brachen.
Tomli, Olba und Arro mussten den herabfallenden Trümmern ausweichen.
»Was sollen wir tun?«, rief Arro. »Den Baum mit der Axt fällen?«
Tomlis Gedanken rasten. Daran hatte er auch schon gedacht. Aber was würde danach geschehen? Sie konnten die Axt schließlich nicht hierlassen, denn ohne sie wäre es nicht möglich, den Weltenriss tief unter Ara-Duun zu schließen.
Andererseits war dieser Baum eine Gefahr für die ganze Stadt. Es hatte seinen guten Grund, dass man einen Tempel um ihn herum errichtet und ihn auf diese Weise eingeschlossen hatte.
Überall bildeten sich neue Äste, die gegen das Mauerwerk drückten und sich in das Gestein schoben. An verschiedenen Stellen bröckelte es.
Es gab nur noch eine Möglichkeit, durchfuhr es Tomli. Den Zauberstab! Auch wenn es gefährlich war, ihn einzusetzen, weil er immer noch Schwierigkeiten hatte, richtig einzuschätzen, wie sehr die Magie durch den Stab verstärkt wurde.
Er zog ihn hervor und richtete ihn auf den Baum. Dazu murmelte er eine kurze Formel. Es war ein sehr einfacher kombinierter Kraft- und Schutzzauber.
Tomli versuchte erst gar nicht, die magischen Kräfte zu beherrschen und unter seine Kontrolle zu zwingen. Er wollte einfach nur der Magie des Baums etwas entgegensetzen, in der Hoffnung, dass sich beide magischen Energien gegenseitig aufhoben.
Ein greller Strahl weißen Lichts schoss aus dem Zauberstab und traf den Baum, der daraufhin aufleuchtete und ein fast ärgerlich klingendes Knarren von sich gab.
Äste wuchsen Tomli entgegen, so schnell, dass er rückwärtsstolperte, um ihnen auszuweichen. Auch Arro und Olba mussten aufpassen, dass sie von den Ästen nicht gepackt wurden. Diese versuchten sich wie Ranken um die Leiber der drei Zwergenkinder zu legen.
Olbas Fuß steckte plötzlich in einer hölzernen Schlinge fest, doch Arro befreite sie mit einem Axthieb.
Der Baum bewegte sich. Weitere Teile des Kuppeldachs krachten in die Tiefe und zerschellten am Boden. Die Runen auf der Rinde des Baums verformten sich zu grimmigen Gesichtern.
Tomli nahm all seine Kraft zusammen. Der Zauberlehrling schrie immer wieder dieselbe Formel und sah, dass der Stamm, der bereits ein ganzes Stück aus dem Tempeldach ragte, sich veränderte. Er färbte sich grau, die Runen bildeten undeutliche Schlieren, und der Geruch nach Moder und Fäulnis breiteten sich aus.
Der Baum wurde morsch, brach in sich zusammen und zerfiel zu feinem grauem Staub, der sich auf magische Weise in Nichts auflöste.
Schließlich blieb nichts mehr von ihm übrig als eine graue, feuchte Masse in der Mitte des Tempels,
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