Zweyer, Jan - Rainer
»Teutoburgia war lediglich bis 1925
selbstständige Schachtanlage. Sie wurde stillgelegt, kam später als Wetterschacht zu Erin und wurde dann im Krieg wieder eröffnet, als Außenschacht von Erin. 1983 war für uns alle Schluss. Da haben sie Erin dichtgemacht.«
»Aber Sie kennen sich alle vom Pütt?«
»Ja, dat kannze so sagen.« Hans Rundolli rutschte mit seinem Küchenstuhl näher zu Rainer hin. »Wir ham alle nach ‘m Krieg auf Erin angefangen, als Jungknappen. Georg ‘nen bisschen später, der war ja auch etwas jünger als wir anderen.
Dat war, watte ma, neunzehnhundert…«
»Dreiundfünfzig«, ergänzte Paula Pawlitsch.
»Genau. Dreiundfünfzig, da war dat. ‘ne harte Zeit damals.
Abba schön.« Rundolli nahm einen tiefen Schluck aus seiner Bierflasche. »Der Siggi und der Theo sind nich aus ‘m Revier.
Theo kommt aus Bayern…«
»Würzburg. Das ist Franken«, knurrte Brähmig und blies einen wabernden Rauchschwaden durch das Zimmer.
»Sach ich doch. Aus Bayern. Un der Kattlowsky kommt, obwohl der so ‘nen richtig schönen polnischen Namen trägt, aus Hannover. Dat musse dir ma vorstellen, einer mit so ‘nem Namen kommt aus Hannover. Da soll ja dat beste Hochdeutsch gesprochen werden. Die waren damals beide im Wohnheim.
Gibbet heute nich mehr. Is vor ‘n paar Jahren abgerissen worden. Georg, Paul un ich warn nich im Heim. Georg sein Vatter war ja auch Püttologe, ne, Paula?«
Die Angesprochene nickte wortlos.
»Der hat schon früher hier inne Siedlung gewohnt. Pauls alter Herr is in Russland geblieben. Vor Stalingrad. Un meiner war bei Krupp. In Bochum. Hätte ich auch anfangen können, abba aufm Pütt gab’s mehr Kohle.«
»Und Fresspakete«, ergänzte Theo Brähmig.
»Un Fresspakete.« Rundolli lehnte sich befriedigt zurück.
»Dat war ‘ne schöne Zeit, war dat.«
Rainer Esch steckte sich eine Zigarette an. »Kann sich jemand von Ihnen vorstellen, warum Georg Pawlitsch ermordet worden ist?«
Die Witwe schluchzte leise auf. Ruth Pawlitsch schossen Tränen in die Augen. Sie warf dem Anwalt einen vorwurfsvollen Blick zu. Rainer sah verlegen in die Runde.
Theodor Brähmig kaute auf seiner Zigarre. Siegfried Kattlowsky hatte den Arm um Paula Pawlitsch gelegt und sprach leise mit ihr. Paul Steinke fixierte die Spitzen seiner Schuhe und Hans Rundolli beschäftigte sich intensiv mit seiner Bierflasche. Keiner erteilte Esch Absolution.
Nach einer Weile strich Theo Brähmig sorgfältig Zigarrenasche im Aschenbecher ab und sagte: »Nee, das eigentlich nicht. Aber…« Dann war er wieder ruhig.
»Also, etwas komisch war er ja schon, der Georg, in letzter Zeit«, warf Paul Steinke in die Runde.
»Jau, dat stimmt. Seit etwa zwei Wochen.« Hans Rundolli stellte die Flasche wieder auf den Untersetzer. »Wisster noch, wie dat war, als der Theo in Georgs Aktentasche den Schlüssel für den Schrank gesucht hat? Mann, wat hat der da für ‘nen Veitstanz aufgeführt. Bleib wech von meinen Klamotten, harter den Theo angefaucht, da hasse nix zu suchen. Un dat vom Georg. War schon seltsam. Als ob er inne Tasche die Kronjuwelen mit durch die Gegend schleppen tut.«
»Er war auch nicht mehr so guter Laune wie vorher«, mischte sich Paul Steinke wieder in das Gespräch. »Irgendwie wirkte er bedrückt.«
»Das stimmt.« Paula Pawlitsch wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. »Ich habe Georg zwei Tage vor seinem Tod auf seine veränderte Stimmung angesprochen. Er musste sich vor einiger Zeit auf Anraten unseres Hausarztes einem Gesundheitscheck unterziehen. Georg hatte etwas Probleme mit dem Kreislauf. Ich habe befürchtet, dass sein Tief was mit der Untersuchung zu tun gehabt haben könnte. Ihr wisst ja, sein Herz. Er hat mir aber versichert, dass er, abgesehen vom Herzen und den kleinen Zipperlein, die im Alter eben so kommen, kerngesund ist. Ich habe ihm natürlich geglaubt.
Deshalb war ich auch so froh, dass er mal wieder zu Siggi gefahren ist. Er hat sich richtig auf das Treffen mit dir gefreut.
Und dann ist er nicht mehr zurückgekommen. Als ich ihn verabschiedet habe, hat er zu mir gesagt…« Die Witwe hatte sich nicht mehr unter Kontrolle und begann, hemmungslos zu weinen.
Ihre Tochter stand auf, griff vorsichtig unter den linken Arm ihrer Mutter, zog sie zärtlich hoch und meinte: »Es ist besser, wenn du dich hinlegst.« Beide erhoben sich und verließen das Wohnzimmer.
Brähmig legte seinen Zigarrenstumpen auf dem Aschenbecher ab. »Ich glaube, jetzt ist Zeit für einen
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