Zweyer, Jan - Rainer
Bergmannsschnaps«, sagte er ruhig.
Kattlowsky nickte zustimmend. Brähmig stand auf, ging zum Wohnzimmerschrank und zauberte fünf Pinnchen und eine Flasche Klaren hervor. Er stellte die Gläser auf den Tisch und begann einzugießen.
»Für mich keinen Klaren«, wehrte Rainer ab. Korn, und dann noch warm, war ihm ein Gräuel.
»Red nich«, wischte Brähmig den Einwand beiseite. »Ein Schnaps hat noch keinem geschadet.« Der Rentner verteilte die Gläser und sagte: »Auf Georg. Wenn er uns jetzt sehen kann, nimmt er sich auch einen zur Brust.«
»Auf Georg.« Die Rentner kippten den Fusel auf ex, zeigten einander ihre leeren Gläser und stellten sie vor sich auf den Tisch. Esch folgte ihrem Beispiel. Brähmig, der der Einfachheit halber die Flasche noch in der Hand hielt, wiederholte das Ritual. »Auf einem Bein kann man nicht stehen.«
Dann kam die Flasche wieder in den Schrank.
»Hat Ihnen Herr Pawlitsch denn etwas Besonderes an dem Abend erzählt?«, wollte Rainer von Kattlowsky wissen.
»Ach was. Wir haben uns unterhalten, dann ein paar Partien Schach gespielt. Georg war ein lausiger, aber begeisterter Schachspieler. Er war etwas schweigsam an dem Abend, das war alles.«
»Sie sagten eben, Ihr Freund hätte sich so aufgeregt, als Sie in seiner Tasche den Schlüssel eines Schrankes suchten. Wie soll ich das verstehen?«
Theodor Brähmig blies einen Rauchring in die Luft. »Wir haben einen Schrank in einem der Räume im Evangelischen Gemeindezentrum. Da bewahren wir unsere Unterlagen auf.
Den Schlüssel dazu hatte Georg.« Er paffte weiter an der Zigarre.
Als Esch klar wurde, dass Theo Brähmig anscheinend der Meinung war, alles Wissenswerte gesagt zu haben, fragte er nach: »Was für Unterlagen?«
»Georg, Paul, Hans und ich haben uns jeden zweiten Mittwoch im Gemeindezentrum getroffen. Wir haben eine Geschichtswerkstatt. Wir sammeln Material über Erin. Alles, was wir finden können. ›Geschichte von unten‹ heißt das Projekt. Vielleicht wird daraus einmal ein Buch«, fuhr Brähmig stolz fort. »Und im Schrank haben wir unsere Materialien aufbewahrt. Weiß eigentlich jemand von euch, wo der Schlüssel jetzt ist? Da müssen wir gleich Paula fragen.
Sicher hat sie…«
»Ein Buch?«, wunderte sich der Anwalt. »Könnte es sein, dass Herr Pawlitsch deshalb bei mir war?«
»Glaube ich nicht«, schaltete sich Paul Steinke ein. »Wir haben doch erst vor ein paar Monaten mit der Geschichtswerkstatt begonnen.«
»Quatsch. Dat machen wir jetz seit über ‘nem Jahr«, korrigierte Rundolli.
»Dicker, das sind ein paar Monate.«
»Sind es nich. Abba is jetz auch egal. Außerdem hätte der Georg uns Bescheid gesacht, wenn er wegen dat Buch zum Anwalt gegangen wär.«
»Das glaube ich auch«, unterstützte ihn Theo Brähmig.
»Obwohl…«
»Obwohl was?« Rainer sah Brähmig aufmerksam an.
»Georg hat schon immer Alleingänge gemacht. Er vergrub sich im Stadtarchiv, und wenn wir ihn fragten, was er da eigentlich suchte, sagte er nur: Wartet es ab. Wartet es ab. Und dann schleppte er nach Tagen entweder ein Foto an, das wir schon lange gesucht hatten, oder irgendein wichtiges Schriftstück. Wie gesagt, Georg hat uns nicht immer erzählt, was er vorhatte.«
»Hm. Und was sammeln Sie so?«, erkundigte sich Esch.
Brähmig lehnte sich zurück. »Zeitungsartikel, alle möglichen Schriftstücke und Daten, Bilder vom Pütt und seiner Umgebung, Belegschaftslisten und vor allem Erinnerungen von Bergleuten. Überwiegend Geschichten vom Alltag aufm Pütt, halt alles, was so kommt. Wir sind nicht die Einzigen. Es gibt viele solcher Gruppen im Revier. Die meisten arbeiten unter dem Dach der REVAG.«
»REVAG?«
»Revierarbeitsgemeinschaft für kulturelle Bergmannsbetreuung. So ‘ne Art Volkshochschule für Bergleute.«
»Aha.« Rainers Begeisterung für Schulen aller Art hielt sich in Grenzen.
Als die Bergleute im Ruhestand dann anfingen, in ihren Erinnerungen zu schwelgen, zog es Rainer vor, die Wohnung der Pawlitschs zu verlassen.
13
Zu Brischinskys Überraschung lieferte die Spurensicherung nur einen Tag, nachdem der Mercedes aus dem Kanal gefischt worden war, ihren Bericht ab. Es gab keinen Zweifel: Georg Pawlitsch war mit Lorsows Wagen überfahren worden.
Eine Stunde später betraten der Hauptkommissar und sein Mitarbeiter erneut die Räume der Geschäftsführung der Firma LoBauTech.
»Guten Morgen, Frau Müller«, begrüßte Rüdiger Brischinsky die ihnen schon bekannte Sekretärin im
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