Zweyer, Jan - Rainer
befürchtet. »Da kann ich leider nichts machen.«
»Herr Esch, ich habe eben mit Hans und den anderen telefoniert. Wir wollen uns im Gemeindehaus treffen und alles besprechen. Wir würden uns freuen, wenn Sie auch kommen würden.«
Obwohl sich jede Faser von Rainers Körpers nach einem richtigen Bett sehnte, antwortete er: »Wann?«
»In einer Stunde.«
»Gut. Ich bin da.«
Als Rainer aufgelegt hatte, schlurfte er in das Hinterzimmer, das ihm als Küche diente, und versuchte, sich einer Morgentoilette zu unterziehen. Der schale Geschmack in seinem Mund wich erst nach einer Tasse Kaffee und einer Reval. Da Rainer keine Zahnbürste in seiner Praxis aufbewahrte, machte er sich über die Frische seines Atems nicht die geringsten Illusionen. Er warf einen überflüssigen Blick in seinen Terminkalender, plünderte seine Portokasse um gigantische zwölf Mark fünfzig und machte sich auf den Fußweg zum Gemeindehaus in der Teutoburgia-Siedlung.
Paul Steinke und die anderen erwarteten Esch schon in ihrem Kellerraum.
»Sie sehen aber heute Morgen nicht besonders aus«, begrüßte ihn Siegfried Kattlowsky. »Sind Sie krank?«
Schon der Zweite, der dumme Fragen stellte. »Nee, verkatert«, antwortete Rainer.
»Dat kommt vor«, verkündete Hans Rundolli und ließ den Anwalt unverzüglich an seinen Lebenserfahrungen in Sachen Katerbekämpfung teilhaben. Auch die anderen mischten sich ein. Ihre Tipps reichten von: »Weitersaufen« bis zu: »Kalte Dusche, Rollmops und ein Bier. Aber nur eins!« Rainer wurde übel.
Dann berichtete Paul Steinke von seinem Besuch bei der Kripo, der Befragung über die Familie Lorsow und schloss:
»Ich hab kein Alibi, Herr Esch. Was mache ich nun?«
»Zunächst einmal machen Sie sich keine Sorgen. Die Polizei musste Ihnen diese Fragen stellen, das ist Routine.«
»Das hat der Kommissar auch gesagt«, warf Steinke kleinlaut ein. Er schien nicht besonders beruhigt.
Theo Brähmig versuchte mit seiner Zigarre, einen Schwelbrand zu imitieren. Esch hielt mit einer Reval dagegen.
»Habe ich Sie eben richtig verstanden? Sie kannten den alten Lorsow?«
»Natürlich. Er war doch jahrelang mein Chef.«
»Haben Sie mit Georg Pawlitsch über Lorsow gesprochen?«, fragte der Anwalt.
»Mit Georg?« Steinke dachte nach. »Ja, das stimmt. Er hat mir die Fotokopie eines alten Bildes gezeigt, auf das er bei seinen Recherchen über die Püttgeschichte gestoßen ist. Da war der Lorsow drauf.«
»War das dieses Bild?« Esch zeigte Steinke seine eigene Kopie.
»Ja, genau. Aber wie kommen Sie…?«
»Das spielt im Moment keine Rolle.« Er zeigte auf den dritten Mann links in der unteren Reihe. »Und das ist Lorsow?«
»Ja, genau.«
»Hat Pawlitsch Ihnen erzählt, wie er an das Bild gekommen ist?«
»Er hat eine Kopie im Stadtarchiv gemacht. Und mich gefragt, weil ich früher in der CDU war. Georg wusste das.«
»Wat warst du? Inne CDU? Bei den Schwatten?« Hans Rundolli war entrüstet. »Abba dat is ja kein Wunder. Warst ja nich aufm Pütt.« Er schüttelte verständnislos den Kopf.
»Hans, das war eine Jugendsünde.«
»Dat sachste jetz.«
Esch verfluchte seine Geheimniskrämerei. Die Fahrt in die Kurstadt, die Besuche bei den senilen Kommunalpolitikern und Walter Terboven hätte er sich schenken können. »Herr Steinke, wissen Sie, warum Ihren Freund dieses Foto so interessiert hat?«
»Keine Ahnung.«
Esch sah in die Runde. »Hat Georg Pawlitsch mit einem von Ihnen über dieses Bild gesprochen?«
Die Freunde verneinten.
Rainer beschloss, den Rentnern alles, was er bisher recherchiert hatte, zu erzählen. Als er geendet hatte, herrschte einige Minuten Schweigen.
Dann fragte Steinke: »Dann ist also mein früherer Chef…?«
»Mit großer Wahrscheinlichkeit der Mörder von Jupp, dem Vorarbeiter, Abraham Löw und dem anderen Zwangsarbeiter, ja. Deshalb war Pawlitsch auch bei mir in der Praxis. Er plante anscheinend eine Veröffentlichung.«
Steinke sagte nichts mehr.
»Und Georg wurde mit dem Wagen des jungen Lorsow überfahren?« Theodor Brähmig paffte bedächtig seine Zigarre.
Der Anwalt nickte.
»Dat issen Dingen«, bemerkte Hans Rundolli.
»Unglaublich«, sekundierte Siegfried Kattlowsky.
»Ich kann mir das einfach nicht vorstellen.« Paul Steinke blieb skeptisch. »Der alte Lorsow war immer anständig zu seinen Leuten, immer. Und dass der…? Nein, das kann ich nicht glauben! Das hat Ihnen dieser… dieser Russe erzählt?«
»Ja.«
»Vielleicht hatte der Russe mit Lorsow noch
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