Zweyer, Jan - Rainer
hatte er nicht vergessen. Rainer hielt seine Brieftasche noch in der Hand, als ihm der Kerl wütend einen Beleg reichte.
»Unterschreiben«, blaffte der Fahrer.
Rainer unterschrieb nicht nur, sondern schilderte dem Arbeitgeber des Taxifahrers kurz schriftlich den Sachverhalt, um so seinem Unmut ein Ventil… »Äh, hätten Sie noch ein zweites Blatt? Das hier reicht nicht!«
»Mir reicht’s jetzt. Ich hab doch schließlich nicht stundenlang Zeit. Geben Sie her.« Der Fahrer riss dem Anwalt Rechnung und Brieftasche aus den Fingern. »Die können Sie sich morgen bei uns im Büro abholen. Und jetzt raus.«
Esch glaubte, sich verhört zu haben. »Ich bleibe hier sitzen, bis ich mein Eigentum wiederhabe. Entweder Sie geben mir meine Sachen zurück oder Sie holen die Bullen. Sie können mich aber auch gleich zur Wache fahren.« Trotzig lehnte sich Rainer zurück.
Der Mann gab Gas und verständigte über Funk seine Zentrale. Rainer sah sich schon von Dutzenden anderen Fahrern umringt, die ihrem Kollegen zu Hilfe eilen wollten.
Glücklicherweise war der Kutscher wohl der Auffassung, dass Rainer keine körperliche Gefahr darstellte.
Zwanzig Minuten später waren sie auf der Polizeiwache am Rathaus. Kurz darauf hatte Rainer sein Eigentum wieder, bezahlte zähneknirschend 19,20 DM und das Taxi brauste davon.
Der Dienst habende Beamte hatte nicht die geringsten Anstalten gemacht, den Diebstahl zu ahnden. Und das, obwohl es sich dabei immerhin um ein Offizialdelikt handelte. Als Rainer heftig protestierte, schob ihn der Polizist sanft, aber bestimmt zum Ausgang. »Gehen Sie schlafen, das ist besser für Sie.«
Mit einem metallischen Geräusch fiel hinter Esch die Tür ins Schloss und er stand im Schneeregen, sein Portemonnaie in der Hand. Rainer musste die Situation hinnehmen. Dann eben ein anderes Taxi. Er zählte sein Geld. 80 Pfennig. 80 Pfennig?
Sein Plastikgeld lag auf dem Tisch in seiner Wohnung.
Rainer schluckte. Der Abend schien doch teurer gewesen zu sein, als er gedacht hatte. Esch machte ein paar Schritte, mühsam das Gleichgewicht haltend. Den Fußmarsch in sein Büro oder zu Cengiz konnte er in seinem Zustand nicht mehr bewältigen. Also würde Rainer die Nacht in seinem Wagen verbringen müssen. Er verfluchte sich und seine cholerischen Ausbrüche und machte sich auf den Weg zu seinem Auto.
36
Rainer Esch wachte mit dem taub-pelzigen Geschmack auf, den er nur zu gut kannte. Er sortierte seine schmerzenden Knochen und verbrachte einige Minuten damit, den gestrigen Abend und die Nacht zu rekonstruieren: Gegen vier war er in seinem Wagen hoch geschreckt. Er wusste nicht, ob ihn der stechende Schmerz in seinem rechten Knie oder die beißende Kälte geweckt hatte. Fakt war nur, dass er in dem Mazda nicht länger bleiben konnte. Entweder würde er erfrieren oder zumindest einen Teil seiner Extremitäten am nächsten Morgen zur Amputation freigeben müssen. Also hatte er sich zur nächsten Bushaltestelle geschleppt, den ersten 311er des Morgens genommen und war ohne Fahrschein bis zur Barrestraße gefahren. Von da waren es nur noch einige Meter zu seinem Büro. Nun lag er hier vollständig bekleidet auf der halb aufgeblasenen Luftmatratze, hatte hämmernde Kopfschmerzen und versuchte, sein vor ihm liegendes Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Dazu war es zunächst erforderlich aufzustehen. Vorsichtig richtete er sich auf. Sofort tanzten kleine Sterne vor seinen Augen und ihm wurde schlecht. Ermattet ließ er sich auf die Matratze zurückfallen. Vielleicht sollte er sein Leben erst später wieder angehen.
Das Telefon klingelte schmerzhaft. Esch sah auf die Uhr.
Kurz nach neun. Viel zu früh.
Der unbekannte Anrufer schien das anders zu sehen.
Stöhnend drückte sich Rainer nach oben und schlich zum Gerät.
»Ja?«, flüsterte er völlig erschöpft in die Muschel. Dann folgte der obligatorische Hustenanfall eines starken Rauchers filterloser Zigaretten.
»Sind Sie krank?«, fragte Paul Steinke mitleidig.
»Das kann man so nennen, ja«, klagte Rainer.
»Herr Esch, stellen Sie sich vor, mein Sohn und ich wurden von der Kriminalpolizei verhört.«
Das wollte sich Rainer in diesem Moment nun genau nicht vorstellen.
»Die Polizisten haben nach unseren Alibis gefragt. Sie verdächtigen uns, mit Georgs Tod zu tun zu haben. Können Sie uns helfen?«
Rainer presste »Wer hat Sie verhört?« heraus.
»Ein Hauptkommissar Brischinsky und sein Assistent.«
Brischinsky! Das hatte der Anwalt
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