Zweyer, Jan - Rainer
Tochter auf Juist und nicht in dem Schweizer Internat gewesen und weshalb ihre Abwesenheit erst jetzt aufgefallen sei.
Der Bremer sah den neben ihm sitzenden Polizisten lange an.
»Das Internat ist eine Privatschule. Die unterrichtsfreie Zeit vor Weihnachten beginnt dort bereits am 12. Dezember, das war am letzten Freitag. Meine Tochter wollte die Feiertage mit einer Freundin gemeinsam bei deren Familie verbringen und…«
Buhlen zückte sein Notizbuch. »Wie heißt die Familie?«
Wübber wirkte ungehalten. »Der Name der Familie? Keine Ahnung.«
»Hat Ihnen Ihre Tochter das nicht gesagt?«, wunderte sich Müller. »Wenn sie schon nicht die Feiertage mit ihren Eltern verbringt, möchte man doch wissen…«
»Marlies ist volljährig«, unterbrach ihn der Teehändler barsch. »Sie musste mich nicht um Erlaubnis fragen.«
»Mein Kollege hat das so nicht gemeint«, besänftigte ihn Buhlen. »Sie wussten also nicht, dass Marlies nach Juist fahren wollte?«
»Nein. Ich sagte Ihnen doch bereits, sie hatte sich mit einer Freundin verabredet.«
»Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen?«
»Ich glaube, im Juni. Könnte auch Juli gewesen sein.
Irgendwann im Sommer. Sie war für zwei, drei Tage in meiner Wohnung in Bremen.«
Müllers Verwunderung wuchs. Er hatte zwar keine Kinder, aber wenn er welche gehabt hätte, so vermutete er, würde er sich an deren letzten Besuch genauer erinnern können.
»In Ihrer Wohnung?«, hakte Buhlen nach.
»Was ist das hier? Eine Vernehmung?«, blaffte Wübber. »Sie sollten sich lieber darum kümmern, den Mörder meiner Tochter zu finden, als mir dumme Fragen zu stellen.«
»Bitte, Herr Wübber. Wir tun nur unsere Pflicht.«
Die Augen des Geschäftsmannes funkelten böse. Für einen Moment glaubte Buhlen, Wübber würde die Beherrschung verlieren. Dann hatte der Bremer sich wieder in der Gewalt.
»Meine Frau und ich leben getrennt. Sie ist die meiste Zeit des Jahres in den Staaten. Ihre Wohnungen in Berlin und Zürich besucht sie nur selten. Ich bin sehr viel unterwegs, lebe fast nur aus Koffern. In Bremen betreibe ich meine Firma und da habe ich auch eine Wohnung. Genügt das?«
»Selbstverständlich. Hatte Ihre Tochter einen Freund?«
»Nicht dass ich wüsste. Warum fragen Sie?«
»Sie war im dritten Monat schwanger.«
Der Teehändler wurde bleich. Er schluckte schwer. Sein Adamsapfel bewegte sich heftig auf und ab. Dann drehte er seinen Kopf zur Seite. Ein leises, gequältes Stöhnen war zu hören. »Schwanger? Aber… von wem?«
»Das hoffte ich, von Ihnen zu erfahren.«
Wübber wandte sich wieder Buhlen zu. »Schwanger! Nein, ich hatte keine Ahnung…«
»Hatte Ihre Tochter einen Schlüssel zu Ihrem Haus?«
Wübbers Selbstsicherheit war dahin. »Einen Schlüssel? Nein, sie hatte keinen… Warten Sie… Natürlich. Der Verwalter. Er muss ihr den Schlüssel gegeben haben.«
»Wenn sie überhaupt in Ihrem Haus war«, meldete sich Müller erneut.
»Wo soll sie denn sonst gewesen sein?«, fragte der Geschäftsmann entgeistert.
»Wie heißt der Verwalter?«, fragte Buhlen nach. »Wir sollten uns bei ihm erkundigen.«
»Langkamp. Heinrich Langkamp.«
»Der Langkamp aus der Billstraße?«, warf Altehuus ein.
Wübber bejahte.
»Das könnt ihr vergessen. Der ist in Urlaub. Zum Skifahren in Oberbayern.«
Der Obermeister bog in die Hammersee-Straße ein und hielt vor dem Ferienhaus der Familie Wübber. Ferienhaus ist etwas untertrieben, dachte Müller angesichts des Prachtbaues. Die fast vollständig von Efeu bewachsene Villa Sturmflut war das vorletzte Haus in der Straße. Die Rollos auf der Straßenseite waren herabgelassen. Das Grundstück grenzte direkt an die Sanddünen. Soweit es Müller abschätzen konnte, war es mindestens tausend Quadratmeter groß.
Der Teehändler öffnete das Straßentor und ging zur Haustür, gefolgt von den Beamten. Er suchte umständlich in einer Seitentasche des Kleidersackes nach dem Schlüssel und drehte ihn im Schloss.
»Seltsam. Nicht abgeschlossen.« Mit einem leichten Quietschen schwang die Tür auf. Der Deckel des Briefkastens klapperte dabei leicht. Wübber tastete nach dem Lichtschalter.
»Die Flurbeleuchtung scheint defekt zu sein«, sagte er und betrat das Haus. Buhlen folgte ihm über die Schwelle. Der Beamte nahm den eigentümlichen Geruch sofort wahr und warf seinen Kollegen einen Blick zu. Dem Teehändler schien nichts aufzufallen. Er stellte seinen Kleidersack ab und wandte sich nach rechts in die Küche.
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