Zweyer, Jan - Rainer
lauschte in die Dunkelheit. Außer der Brandung der aufkommenden Flut war nichts zu hören. Als ihm jemand aus unmittelbarer Nähe ansprach, stockte ihm fast das Herz.
»Mensch, Schwiebus, haben Sie mich erschreckt.«
Die schlaksige Gestalt löste sich aus der Deckung der Müllcontainer. »Sind Sie alleine?«
»Sehen Sie das nicht?« Rainer ergänzte begütigend:
»Vermutlich nicht. Man erkennt ja kaum die Hand vor Augen.
Warum so geheimnisvoll, Herr Schwiebus?«
Der Makler kam näher. »Die Bullen sind hinter mir her!«
»Polizei? Warum?«
»Übernehmen Sie das Mandat?«, kam die Gegenfrage.
»Ja, klar. Zigarette?«
»Nein, danke. Ich habe meine eigene Marke.«
»Also, was ist los?«, wollte der Anwalt wissen.
Schwiebus zögerte. »Ich bin gestern Abend in der Spelunke gewesen. Dort habe ich… wie soll ich sagen… Kokain…«
»Sie haben Koks geschnupft?«
»Ja.« Schwiebus erzählte ihm in hastigen Worten die Geschichte. »Ich habe mich dann versteckt und bin erst in mein Apartment zurückgekehrt, als ich sicher war, dass dort keine Bullen rumschnüffelten.«
»Und die Polizisten haben ganz sicher Sie gemeint?«
»Wen denn sonst?«
»Was weiß ich. Und Sie nehmen an, die vermuteten Rauschgift bei Ihnen?«
»Haben Sie eine bessere Erklärung? Ich zermartere mir schon den ganzen Tag erfolglos den Kopf, welchen Fehler ich gemacht haben könnte.« Schwiebus machte einen etwas hysterischen Eindruck. »Vielleicht haben die da Überwachungsanlagen.«
Esch zerdrückte die Kippe mit seinem Stiefel. »Auf dem Klo? Na, ich weiß nicht. 1984 ist doch schon ein paar Tage vorbei. Und das mit der Volkszählung…« Schwiebus verstand die Anspielung nicht. »Egal. An Ihrer Stelle würde ich zur Polizei gehen. Möglicherweise klärt sich ja alles auf.«
»Und wenn nicht?«
»Das wäre Pech. Haben Sie noch mehr von dem Stoff?«
»Etwas.«
»Lassen Sie es verschwinden. Und dann gehen Sie zur Polizei.«
»Das Verschwindenlassen ist schwierig.«
»Verstehe ich nicht.«
»Was ist mit meiner Wohnung in Eickel? Wenn die eine Hausdurchsuchung machen…«
Jetzt dämmerte Rainer etwas. »Sagen Sie bloß, Sie haben auch zu Hause im Ruhrgebiet Kokainvorräte.«
»Natürlich.«
So natürlich fand Rainer das nun gerade nicht. »Viel?«
»Es geht. 150,160 Gramm.«
»Das ist viel. Zumindest für den Staatsanwalt. ›Keine geringe Menge‹ steht im Gesetz. Das dürfte wahrscheinlich auch der Richter so sehen.«
»Was soll ich nur machen?«, jammerte Schwiebus weinerlich. »Eine Geldstrafe kann ich nicht bezahlen. Dann muss ich in den Knast. Können Sie nicht mit den Bullen sprechen? Wenn ich gestehe, vielleicht habe ich dann ja die Chance, den Stoff in Wanne…«
Rainer seufzte. Ein Kokser als Mandant. Ohne Knete. Ade, Anwaltshonorar. Und Geldstrafe? Wenn der unter ein, zwei Jahren wegkam…
»Gut. Ich kläre das. Aber jetzt lassen Sie uns hier verschwinden. Mir ist kalt.« Und außerdem will ich zu Elke ins Bettchen, dachte er. Esch wandte sich zum Gehen. »Wo kann ich Sie erreichen?«
»Mein Apartment ist ganz in der Nähe, das letzte Haus in der Cirksenastraße. Nein, rufen Sie mich an, wenn Sie etwas erreicht haben. Wir machen dann einen Treffpunkt aus.«
»Lassen Sie sich nicht erwischen.«
Schwiebus lachte bitter. »Das passiert mir nicht. Das nicht.«
Dann verschluckte ihn die Dunkelheit.
12
Dieter Buhlen schob sich vorsichtig das letzte Stück seines dick mit Rührei belegten Brötchens in den Mund, als Enno Altehuus den Frühstücksraum des Hotels betrat.
»Kann man denn noch nicht einmal in Ruhe essen«, maulte Buhlen mit vollem Mund, als er den Juister näher kommen sah.
Günter Müller legte den Ostfriesischen Anzeiger mit dem etwas zu reißerischen Artikel über die unbekannte Tote beiseite. Ohne seine Brille hatte er Schwierigkeiten gehabt, das Geschriebene zu entziffern. Hastig griff er zum letzten noch verbliebenen Rollmops auf seinem Teller.
»Moin«, begrüßte sie der Obermeister.
Buhlen nickte kauend und Müller quetschte ein Geräusch hervor, das ein Zuhörer mit etwas gutem Willen für eine Erwiderung des Grußes halten konnte.
»Ich habe mich gewundert, wo Sie bleiben.«
Müller grunzte vernehmlich. »Hast du das gehört? Er hat sich gewundert. Erst füllt er uns mit diesem süßen Gift ab, nötigt uns in der Spelunke noch zu was weiß ich wie vielen Bieren, schleppt uns in seine Wohnung und dann…«
»Erinnere mich nicht daran«, stöhnte Buhlen. »Wie spät war es
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