Zweyer, Jan - Rainer
geduldig auf die Rückkehr Müllers. Schon häufiger hatten voreilige Beamte wertvolle Spuren zerstört.
Das würde ihm nicht passieren. Ohne die Schuhpariser und Handschuhe würde er nichts unternehmen.
Wenig später erschien sein Kollege in der offenen Tür.
»Schuhüberzieher sind nur für einen da, Handschuhe genug.«
Buhlen griff nach den Kunststoffhüllen und streifte sie sich über seine Fußbekleidung. Dann zog er die Handschuhe über.
Vorsichtig und ohne auf die Blutlache zu treten, ging er weiter in die Wohnung hinein. Er warf einen Blick nach links ins Wohnzimmer und versuchte erfolglos, dort das Licht einzuschalten. »Wo ist der Sicherungskasten?«, fragte er in Richtung Eingangstür, wo Müller wartete, ging aber nicht davon aus, eine Antwort zu erhalten.
»Soll ich Wübber fragen?«
Buhlen winkte ab. Sein Blick schweifte über die Wand und blieb dann an dem Spiegel kleben. Vorsichtig zog er diesen etwas ab, lugte dahinter und entdeckte eine graue Metallklappe
– der Sicherungskasten. Er hob den Spiegel vom Haken, öffnete den Kasten, orientierte sich kurz und drückte die Hauptsicherung ein.
Mehrere Halogenstrahler in der abgehängten Decke tauchten den Flur in weißes Licht. Jetzt waren auch die blutigen Fuß-
und Schleif spuren zu sehen, die vom Flur ins Wohnzimmer führten und, wie Buhlen kurz darauf feststellte, an der Terrassentür endeten.
»Mann, das sieht ja hier aus wie in einem Schlachthof«, ließ sich Müller vernehmen. Buhlen war zwar noch nie dort gewesen, gab ihm aber Recht. »Was ist mit der Spurensicherung?«
»Ich habe Aurich verständigt, aber das kann dauern. Wir haben Heiligabend und es ist kurz nach eins. Bis die Bereitschaft zusammengetrommelt und der Hubschrauber eingetroffen ist…« Er sprach nicht weiter.
Buhlen wusste auch so, was er meinte. Ihre Auricher Kollegen würden sich vor Begeisterung geradezu überschlagen. Vor dem frühen Abend konnten sie nicht mit deren Eintreffen rechnen. Also würden sie zunächst selbst die Terrasse in Augenschein nehmen.
Eiskalter Wind schlug ihnen entgegen, als sie um die Hausecke bogen. Nach dem Geruch von getrocknetem Blut geradezu eine Wohltat. Müller blieb stehen. Das Grundstück war tatsächlich groß. Links und rechts wurde der Garten von einer stattlichen, fast zwei Meter hohen Hainbuchenhecke eingerahmt, zu den Dünen hin grenzten hoch gewachsene Büsche das Terrain ab. Hinter den Sträuchern war ein Gartenzaun aus Draht, darin eingelassen ein Tor, soweit Müller das aus der Entfernung erkennen konnte. Die große Rasenfläche wurde durch zwei Hochbeete und einen großzügig angelegten Teich aufgelockert. In der hinteren rechten Ecke befand sich ein kleiner Schuppen, vermutlich für Gartengeräte.
»Sieh dir das an«, rief Buhlen, der mittlerweile die mit Waschbeton belegte Terrasse erreicht hatte. Müller trat zu seinem Kollegen.
»Hier.« Buhlen zeigte auf eine kleine, schon fast vom Regen und Schnee verwaschene Blutlache vor der Tür, die ins Wohnzimmer führte. Im Gegensatz dazu waren die Schleif spuren auf den zwei Treppenstufen, die den Höhenunterschied zwischen Wohnraum und Garten überbrückten, deutlich sichtbar. Hier hatte die heruntergezogene Dachhaut den Einfluss der Witterung verhindert.
»Der Mörder hat die Leiche bis hierhin gezogen.«
»Und dann weggetragen oder verladen. Was meinst du?«
»Verladen.«
Obermeister Altehuus gesellte sich zu ihnen. »Der Arzt ist da, er hat Wübber ein kreislaufstabilisierendes Mittel gegeben.«
»Ist er ansprechbar?«, erkundigte sich Buhlen.
»Einigermaßen.«
»Fragen Sie ihn doch bitte, ob sich hier auf dem Grundstück ein Handkarren, ein Bollerwagen oder so etwas Ähnliches befindet.«
»Ist damit die Leiche abtransportiert worden?«
»Vermutlich.«
Altehuus machte sich auf den Weg. Die beiden Kommissare waren einige Zeit mit ihren Gedanken allein.
Müller sprach als Erster das aus, was auch Buhlen beschäftigte. »Warum, Dieter, schafft der Mörder die Leiche vom Tatort fort und vergräbt sie in den Dünen, hinterlässt aber gleichzeitig eine solche Sauerei? Wenn er den Mord vertuschen wollte, dann hätte er sich doch bemühen müssen, die Spuren der Tat zu verwischen. Im Haus waren die Rollos heruntergezogen, hier auf der Terrasse verhindert die Hecke fast jeden Einblick. Er konnte davon ausgehen, ausreichend Zeit zur Verfügung zu haben. Aber nichts da. Er schreibt sogar mit dem Blut der Toten das Wort ›Hure‹ an die
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