Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
Touristen seien und deshalb auch mehr Restaurants geöffnet hätten. Sie waren dem Rat gefolgt und hatten eine Unterkunft im Norden der Insel gebucht.
Kokkari war etwa zehn Kilometer von der Inselhauptstadt Samos entfernt. Beurteilte man den Ort lediglich von der Umgehungsstraße aus, käme niemand auf die Idee, dort seinen Urlaub zu verbringen. Halbfertige Hausskelette aus Beton säumten die Straße. Auto-und Motorradverleiher
konkurrierten miteinander um Kunden und überboten sich mit großflächigen Reklametafeln; vereinzelte Restaurants und Bars buhlten – in der Nachsaison vermutlich vergeblich – mit dem Hinweis auf die Frische ihrer Speisen um Gäste.
Rainer Esch erschrak. Das war nicht das Samos, das er kannte. Trotzdem lächelte er, als sie an der Hauptstraße aus dem Bus stiegen, ihre Koffer nahmen und den Weg zur ihrer Pension einschlugen, den ihnen der Busfahrer gewiesen hatte.
Esch wollte Stefanie nicht schon am ersten Tag den Urlaub durch dumme Bemerkungen versauen; wie er sich kannte, kam das ohnehin noch.
Sie durchquerten einige kleine Gassen, die schon über erheblich mehr Charme verfügten als die Hauptstraße; vorbei an weißen, einstöckigen Häusern, eingerahmt von wildem Wein und Kletterpflanzen mit blauen Blüten, deren Namen sie nicht kannten; bogen um eine Ecke und sahen das Meer. Direkt vor ihnen. Sie waren überwältigt.
Der Reisekatalog hatte nicht gelogen: »Eine kleine, familiäre Pension, nur durch eine Promenade vom Strand getrennt.«
Pension Poseidon lag wirklich unmittelbar am Meer, am östlichen Rand der Bucht.
Auch der Besitzer des Poseidons versuchte – wie fast alle Anwohner an der Meerseite –, mittels einer Taverne das Urlaubsbudget der Touristen zu schmälern. Rainer und Stefanie bezogen ihr Zimmer mit Balkon zum Meer. Zehn Minuten später saßen sie an einem Tisch direkt am Wasser und genossen ihren Begrüßungsouzo, zumindest Rainer tat dies.
Um ihre Gastgeber nicht zu enttäuschen, machte Stefanie gute Miene zum bösen Spiel und nippte ebenfalls an ihrem Glas.
Abends bummelten sie durch die Gäßchen des Ortes. Sie aßen schließlich in einem kleinen Lokal, etwas entfernt vom eigentlichen Zentrum. Das Restaurant war Rainer aufgefallen, weil dort auf einer Tafel in fehlerfreiem Deutsch auf Kaninchen-Stifado und vor allem selbstgekelterten Wein vom Faß hingewiesen wurde.
Das Stifado war geschmacklich erstklassig, nur die Portion für Rainer etwas zu klein. Stefanie verzehrte mit Genuß in Speckscheiben gewickelte, gegrillte Scampis. Der hausgekelterte Wein war trocken und naturtrüb. Zum Nachschenken benutze der Wirt einen großen, weißen Kanister, was an den Nebentischen zu Rainers Vergnügen eine gewisse Verblüffung auslöste.
Das Restaurant war klein; ein Orangenbaum mit noch grünen Früchten überdeckte mit seinem Blätterdach fast die gesamte Fläche des Gartens.
»Sag mal«, fragte Stefanie, »erinnert dich der Wirt nicht an jemanden?«
Rainer stutzte. »Eigentlich schon. Ich weiß nur nicht, an wen.«
»Der Schauspieler, der Franzose. Der mit der Nase.« Stefanie faßte sich an die Nase und tat so, als ob sie diese langzöge.
»Sooooo.«
»Na klar, du meinst Louis de Funes. Der sieht ja echt so aus.
Is ja irre.«
Später, sie tranken bereits Mocca und Metaxa, stürmte eine Meute neuer Gäste das Restaurant.
»Ey, fast voll.«
»Egal. Nimma da den Tisch. Wir schieben zusammen.«
»Für mich erstma ein Pilsken.«
»Für mich auch.«
»Wartma. Laß doch erstma gucken.«
»Chef, tu ma sechs Ouzo.«
»Mann, der versteht dat doch nich.«
»Na und?«
Am lautesten grölte ein Mittvierziger. Sein T-Shirt war verschwitzt und trug die sinnige Aufschrift: Diesen Körper formten Gott und Pils. So sah er auch so. Schwammig und feist.
Stefanie stieß Rainer an. »Komm, laß uns zahlen.«
»Ist gut. I wonna pay, please«, rief er Louis de Funes zu.
»Okay. Please, come inside.«
Später saßen sie auf den für Griechenland typischen Stühlen mit der Sitzfläche aus geflochtenem Korb an den niedrigen Tischen in der Bar Manos. Das Manos lag an einer Ecke, an der sich drei Gassen trafen. Auf kleinster Fläche befanden sich sechs Restaurants und Bars. Jede der Kneipen versuchte, die Konkurrenz musikalisch zu übertrumpfen. Im Grunde handelte es sich bei diesem Wettbewerb aber lediglich um die Frage, wessen Lautsprecher mehr Watt vertrugen.
Sie tranken zunächst Metaxa, später Samena, einen trockenen Weißwein. Rainer war nicht mehr ganz
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