Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
die Scheiben des abgestellten Wagens. Kein Zweifel, der Kerl war Finke. Schnellen Schrittes überquerte er den Parkplatz, um am gegenüberliegenden Ende auf einen BMW zuzusteuern. Kurz entschlossen spurtete Esch gebückt zwischen den Autoreihen zu seinem Wagen, schloß auf und schmiß sich auf den Fahrersitz. Der BMW rollte langsam zu einer Ausfahrt. Rainer startete den Motor und machte sich auf die erste Verfolgungsfahrt seines Lebens.
Trotz des frühen Samstag vormittags herrschte einiger Verkehr, so daß Esch hoffte, Finke nicht aufzufallen. Der kannte zwar ihn, nicht aber seinen Wagen. Bei ausreichendem Abstand dürfte da nichts anbrennen. Obwohl ein Golf mit Recklinghäuser Kennzeichen in dieser Gegend Deutschlands nicht gerade häufig anzutreffen war, glaubte Rainer nicht, daß der Ossi darauf achten würde.
Der BMW verließ die Neustadt Hoyerswerdas südlich in Richtung Bautzen. Nach einigen Kilometern bog er nach rechts auf eine Landstraße ein, die nach Spohla führte. Spohla war ein kleiner Ort mit typisch sorbischer Architektur: Winzige, geduckte Häuser mit angrenzenden Stallungen waren durch mehr als mannshohe Außenmauern so miteinander verbunden, daß der Eindruck eines geschlossenen Karrees entstand, das keinen Einblick in das Hofinnere erlaubte. Die Nobelkarrosse fuhr nach links auf eine breitere, baumbewachsene Straße, um nach etwa hundert Metern rechts in einer Toreinfahrt zu verschwinden.
Esch parkte seine Schleuder rund fünfzig Meter vor dieser Einfahrt links am Straßenrand, wartete einige Minuten, stieg aus und folgte Finke dann vorsichtig.
Hotel und Restaurant Schweinekoben las der Recklinghäuser auf einem Schild neben der Einfahrt. Im Hof standen lediglich Finkes BMW und ein großer, schwarzer Mercedes. Rainer versuchte, so unbeteiligt wie möglich auszusehen, und näherte sich der Eingangstür des Restaurants. Die Fenster der Gaststätte waren nicht sehr groß und von innen durch Pflanzen verstellt. Trotzdem gelang es ihm, einen Teil des Gastraumes einzusehen. Die Gaststätte war, soweit Rainer es erkennen konnte, leer. Nur an einem Tisch in der hinteren Ecke des Raumes saßen mit dem Rücken zum Fenster Finke und ihm gegenüber ein Mann in einem dunklen Anzug, dessen Gesicht Esch nicht sehen konnte, da es von Finkes Gestalt verdeckt wurde. Der dunkel Gekleidete redete gestikulierend auf seinen Tischpartner ein, und Esch hatte den Eindruck, daß dieses Gespräch nicht gerade freundschaftlich verlief. Der Dunkle schlug einige Male mit der Hand auf den Tisch und faßte sich an die Stirn – eine Geste, die keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, welche Meinung der Mann von Finke hatte.
Plötzlich stand der Ossi auf und bewegte sich Richtung Ausgang. Rainer rannte in gebückter Haltung los und suchte mit einem Hechtsprung Deckung hinter dem schwarzen Mercedes. In diesem Moment trat Finke durch die Tür und schaute sich zögernd um. Esch glaubte schon, Finke habe seinen Verzweiflungssprung bemerkt, und drückte sich tiefer in den sandigen Boden der Lausitz. Aber der andere steuerte zielstrebig seinen BMW an, stieg ein und fuhr davon.
Als der Wagen den Hof verließ, richtete sich Rainer halb auf.
Scheiße, dachte er, der ist weg. In den Filmen, die er gesehen hatte, lagen die Verfolger nie im Staub, ruinierten ihre letzten sauberen Jeans und ließen ihre Beobachtungsobjekte einfach davonfahren. So gut es ging, klopfte er den Dreck von der Hose. Er wollte schon zu seinem Fahrzeug zurückkehren, als sein Blick auf das Nummernschild des Mercedes fiel. HER-NE
77. Da Rainer keine weiteren Gäste im Lokal gesehen hatte und auch keine anderen Fahrzeuge im Hof parkten, ließ das eigentlich nur einen Schluß zu: Finkes Gesprächspartner kam aus dem Ruhrgebiet. Und genau dahin wollte Rainer nun auch.
Und zwar sofort.
22
Rainer Esch schellte bei Stefanie und wartete, daß sie die Haustür öffnete. Sie hatten sich mit Cengiz Kaya verabredet, um auszutauschen, was sie erfahren hatten, und um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen.
Der Öffner summte, und er drückte die Haustür auf. Stefanies Wohnungstür war nur angelehnt. Rainer betrat ihre Wohnung.
»Hallo, Stefanie, wo steckst du?«
»Im Wohnzimmer.«
Dort fand er seine Freundin inmitten von Kissen und einer Decke auf der Couch. Auf dem Tisch stand eine Teekanne auf einem Stövchen.
»Wenn du ausnahmsweise ‘ne Tasse Tee trinken willst, du weißt ja, wo du Tassen findest«, sagte sie, ohne von ihrem Buch aufzusehen.
Esch ging
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