Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
verneinte und ihn an Klaus erinnerte, meinte er, Selbstmord sei nicht strafbar und die Tatsache, daß sich jemand umbringt, zwar bedauerlich, aber schließlich kein Fall für die Mordkommission. Und außerdem wäre ich im falschen Kommissariat. Sie seien nur für Mord und Totschlag zuständig, nicht für Betrug. Aber ohne Schaden wäre das sowieso schwierig. Er hat mir empfohlen, alles auf sich beruhen zu lassen. Ich hab’s euch ja gleich gesagt. Wir sollten wirklich die Finger davon lassen.«
»Scheiß Bullen«, schimpfte Stefanie. »Und du rätst uns auch noch aufzuhören. Was hat sich denn eigentlich seit unserer letzten Diskussion verändert? Doch wohl nichts. Hast du denn schon vergessen, daß Cengiz 2.000 DM da reingesteckt hat?«
»Nein, das habe ich nicht vergessen. Aber habt ihr beide eigentlich vergessen, daß ich ihn genau davor gewarnt habe?
Zumindest kann er ja jetzt Anzeige erstatten.«
»Das werde ich auch tun. Aber erst gehe ich noch auf diese Veranstaltung.«
»Schwachsinn, völliger Schwachsinn. Aber des Menschen Wilhelm ist sein Himmelreich.«
Sie schwiegen sich eine Zeitlang an.
Rainer versuchte, die Situation zu entspannen. »Ich mache euch einen Vorschlag. Cengiz geht auf diese Veranstaltung und hört sich weiter bei seiner Arbeit um. Nach unserem Urlaub treffen wir uns wieder. Wenn wir dann nicht mehr wissen als jetzt, erstattet er sofort Anzeige, und wir überlassen den Rest Polizei und Staatsanwaltschaft. Und an deinem Verlust«, er sah sein Gegenüber an, »werde ich mich schon irgendwie beteiligen.«
Stefanie nickte stumm.
Und auch Kaya gab seine Zustimmung. »Mit deiner Beteiligung aber, das kannst du vergessen. Ich hab das so gewollt. Da stehe ich dann auch allein für grade.«
Ihre weitere Unterhaltung plätscherte so dahin.
Nach einer halben Stunde sagte Stefanie: »So ihr zwei. Ich bin müde und möchte ins Bett. Ich schmeiß euch jetzt raus.«
Cengiz stand auf, Rainer sah seine Freundin mit offenem Mund erstaunt an. »Wie, ich auch?«
»Du auch. Alle beide.«
Kaya grinste, Esch schmollte.
Vor der Haustür überlegte Cengiz, ob er Rainer noch auf ein Bier einladen sollte, ließ es dann aber. Irgendwie schien sein neuer Bekannter dafür nicht in der Stimmung zu sein. Und diese schlechte Laune beobachtete er mit wachsender Schadenfreude. Stefanie hatte ihn geküßt und Rainer mehrmals kritisiert. Und sie dann beide vor die Tür gesetzt. Vielleicht gab sie ihrem Freund ja den Laufpaß. Cengiz wäre sich nicht zu schade, Eschs Stelle einzunehmen. Aber jetzt flogen die beiden zunächst gemeinsam in den Urlaub. Nach Samos.
Der Türke seufzte. Schließlich können gemeinsame Urlaubsfreuden in südlicher Sonne auch angeschlagene Partnerschaften kitten. Er konnte nicht mehr tun, als zu warten.
Und etwas zu hoffen.
23
Der Flieger legte sich auf die Seite und beschrieb einen weiten Linksbogen. Er sah aus dem Fenster. Unter ihnen glänzte blausilbrig die Ägäis. Am oberen Rand des kleinen Fensters war die Insel Samos zu erkennen. Braun, etwas grün. Am Druck auf seinen Ohren merkte Rainer, wie schnell die Boeing an Höhe verlor. Der Monitor an der Kabinendecke gab Aufschluß: Höhe über NN 1500 Meter, 1400 Meter, 1300
Meter.
Noch immer konnte Esch keinen Flugplatz erkennen. Die Flugangst kam langsam wieder angekrochen. Noch 130 Meter Höhenunterschied trennten ihn vom sicheren Boden. Links war nur das Meer zu sehen. Er griff nach Stefanies Hand und hielt sie fest. Stefanie war wie immer die Ruhe selbst.
»Wir sind ja gleich unten«, versuchte sie ihn zu beruhigen,
»der Kapitän weiß schon, was er macht.«
»Na hoffentlich«, knurrte Rainer.
Als die Maschine mit einem leichten Ruck aufsetzte, applaudierten die Passagiere.
Sicher gelandet, hatte Rainer wieder Oberwasser. »Idioten.
Klatscht eigentlich irgend jemand bei mir, wenn ich ihn sicher vor seiner Haustür absetze? Das ist doch sein Job. Die sind doch keine Schauspieler, oder?« Er sah Stefanie an, die nicht antwortete. »Wirklich blöd.«
Das Auschecken und die Zollformalitäten gingen erfreulich schnell vonstatten. Der Bus des Reiseunternehmens stand direkt vor dem kleinen Flughafengebäude. Sie verstauten ihre Koffer, stiegen ein und warteten auf die Abfahrt.
Vor dreizehn Jahren war Rainer Esch das erste Mal in den Ferien auf Samos gewesen, damals in Pythagorion. Jetzt, im Oktober, hatte ihnen ihr Reisebüro geraten, nach Kokkari zu fahren, da dort um diese Zeit angeblich noch mehr
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