Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
in die Küche, holte eine Tasse, goß Tee ein und setzte sich auf den Sessel.
»Wann kommt Kaya?« fragte er. Keine Antwort.
»Stefanie, ich habe dich gefragt, wann der Türke kommt.«
»Jetzt sag doch nicht immer ›der Türke‹ zu ihm. Er hat auch einen Namen.«
»Gut, gut. Also, wann kommt er?«
»Gleich. Weiß nicht. Bitte laß mich das Kapitel hier noch lesen. Bin gleich fertig.«
»Sag mal, kannst du eigentlich auch mal ohne Bücher leben?«
»Hmm.«
Esch gab auf. Wenn Stefanie in ein Buch vertieft war, konnten nur Bombeneinschläge sie daran hindern, ihrer Leselust zu frönen. Von ihr stammte auch der denkwürdige Ausspruch, fast noch wichtiger als der Inhalt eines Romans sei sein Umfang. Hauptsache dick, hatte sie damals gesagt. Es blieb Rainer also nicht anderes übrig, als zu warten.
Nach einigen Minuten legte Stefanie endlich das Buch zur Seite.
»Das hier ist ein neuer Krimi aus dem Grafit-Verlag«, sagte Stefanie. »Zwar nicht sehr dick, aber ganz gut geschrieben. Die Heldin heißt so wie dein zweiter Lieblingsschnaps. Nämlich Grappa.«
»Und?« Eschs Interesse hielt sich in Grenzen. Von Schnäpsen zu schreiben, war die eine Seite. Eine ganz andere war, sie zu trinken.
»Ist von einer Frau geschrieben. Die war früher mal Redakteurin der WAZ in Wanne-Eickel. Müßtest du aus deiner Zeit in Wanne eigentlich kennen.«
»Ach, tatsächlich?«
»Ja, ihr von der linken Szene habt die doch immer
›Waswollensieüberhaupt‹ genannt, weil sie so eure Bitten um den Abdruck irgendwelcher Pamphlete beantwortete.«
»Du meinst doch nicht…«
»Doch, genau die.«
»Die schreibt jetzt auch Krimis? Versucht sich wohl jeder dran. Trotzdem. Scheiß Kriminalromane. Wir wissen doch spätestens seit dem Theater nach dem ersten Schimanski-Tatort, daß Krimis und Realität nichts gemein haben. Die Kripo in Duisburg hat damals doch lautstark genug protestiert.
Außerdem mangelt es den Romanen fast immer an gesellschaftspolitischer Bedeutung.«
»Na und? Und was ist mit dir, hä? Ziehst dir Hefte mit bunten Bildern über kleine Eisenbahnen rein, die im Kreis fahren. Hat das etwa gesellschaftliche Relevanz, du Schwätzer?«
Das Schrillen der Wohnungsklingel unterbrach ihren halb scherz-, halb ernsthaft geführten Dialog.
Einen Moment später betrat Cengiz mit Stefanie das Wohnzimmer.
»Hallo, Rainer«, grüßte er.
»Tach.«
»Hier, bitte. Ich hab dir was mitgebracht.« Kaya reichte Stefanie eine kunstvoll verpackte Flasche. »Hoffentlich magst du Sekt.«
»Immer«, antwortete Esch, »is ja schließlich auch aus Trauben.«
»Hast du nicht zugehört?« blaffte ihn daraufhin seine Freundin an. »Der Sekt ist für mich. Du kannst deine Sauforgien bei dir zu Hause oder im Drübbelken durchziehen.«
Dann wandte sie sich an ihren Besuch. »Danke, Cengiz.
Wirklich nett von dir.«
Sie küßte ihn auf die rechte Wange, was Esch mit Bestürzung registrierte. Er verfluchte sich für seine vorlaute Klappe.
»Setz dich doch.« Stefanie räumte bereitwillig Kissen und Decke zur Seite. »Möchtest du auch eine Tasse Tee?«
Kaya verneinte.
»Vielleicht sollte Rainer zuerst erzählen, was er in Ostdeutschland erlebt hat«, regte Stefanie an. »Und wenn du was Neues weißt…«, sie sah Kaya fragend an.
Der nickte.
Die junge Frau wandte sich wieder Esch zu. »Okay, Rainer, aber mach’s kurz. Die Beschreibungen der Kneipen kannste dir schenken.«
»War ja nur eine. Also gut.« Rainer gab eine kurze Zusammenfassung seiner zwei Tage in der Lausitz.
»Und jetzt«, schloß er seinen Bericht, »weiß ich auch nicht sehr viel mehr als vorher.«
Kaya schilderte, daß und wie er einen Take off- Anteil gekauft hatte und daß er am nächsten Samstag zu der Veranstaltung im Herner Kulturzentrum gehen wolle. »Nach dem, was mir der Verkäufer erzählt hat, versteckt sich hinter der Abkürzung F.
H. im Schreiben von Klaus Fritz Hülshaus, Reviersteiger auf Eiserner Kanzler. Ob uns das aber weiterbringt? Warst du denn bei der Polizei?« fragte er Esch.
Als der nickte, setzte Cengiz fort: »Und? Was sagen die?«
»Tja, was sollen die schon sagen? Hauptkommissar Brischinsky war nicht da, ich hab mit dem anderen, Baumann heißt der, glaub ich, gesprochen. Ich zeigte ihm das Schreiben von Klaus. Ließ den aber ziemlich kalt. Da wäre ja dann das fehlende Motiv, hat er nur gesagt. Und auf meine Frage, ob er denn der Sache nicht nachgehen wolle, hat mich Baumann gefragt, ob ich auch Geld verloren hätte. Als ich
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