Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
bleibe hier. Was ist mit dir?« Sie sah den Türken an. »Du hast dich noch nicht geräuspert.«
Cengiz zögerte. »Also eigentlich ist es egal, ob wir heute oder morgen zur Polizei gehen. Außer Vermutungen haben wir so recht immer noch nichts. Die Bilder müssen sowieso noch entwickelt werden. Ich finde, Rainer sollte zur Zeitung gehen.
Es kann doch nichts schaden, Stefanie.«
»Also abgemacht.« Esch schwang sich vom Barhocker. »Ich komme später wieder. Trinkt nicht soviel. Und wartet mit dem Essen auf mich.«
Auf dem Weg zum Büro der Lausitzer Rundschau legte sich Rainer eine plausible Erklärung für sein Interesse zurecht. Er würde sich als Student der Sozialwissenschaften ausgeben, der aus Berlin gekommen war, um eine Semesterarbeit über stillgelegte Braunkohlentagebaue zu schreiben.
Sozialwissenschaften war gut. Die beschäftigten sich mit jedem Unsinn.
Er fand die Redaktion auf Anhieb und trug sein Anliegen vor.
Und er hatte Glück. Er traf auf einen Lokalredakteur, dem die ökologische Erneuerung der Lausitz ein persönliches Anliegen war.
Froh, einem interessierten Zuhörer aus der Hauptstadt sein Herz ausschütten zu können, begann der Journalist mit einem kurzen Abriß der Geschichte des Braunkohlenabbaues in der Lausitz seit 1850. Esch machte sich geflissentlich Notizen.
Nach dreißig Minuten hatte der Referent die Jahrhundertwende erreicht, weitere zwanzig Minuten benötigte der Redner für die Jahre bis zum zweiten Weltkrieg. Krieg und Faschismus kosteten noch mal fünfundvierzig Minuten, und nach knapp zwei Stunden und drei Kannen Kaffee hatte er auch die realsozialistische Etappe hinter sich gelassen. Dann kam er endlich zur Gegenwart.
»Die Millionenkippe heißt so, zumindest soweit ich weiß, weil dort Millionen Tonnen Altlasten der früheren DDR
lagern. Oder gelagert haben. Ein Großteil ist schon abgefahren und entsorgt worden. Einiges sogar als Sondermüll. Das wurde in speziellen Anlagen verbrannt, so giftig ist das. Und immer noch entdecken die Firmen da neues Zeug. Ist schon schlimm, was da früher alles hingekippt und abgelassen worden ist.«
»Welche Firmen sind denn da im Einsatz?« wollte Esch wissen.
»Alle kenne ich natürlich nicht. Aber, na ja, zunächst die Entsorgungsunternehmen. Eine Firma Dekontent zum Beispiel.
Die baggert das verseuchte Erdreich aus und entsorgt es. Dann große Tiefbaufirmen, die das Erdreich transportieren. Die Firma Schuffer zum Beispiel liefert Flüssigbindemittel, mit denen extrem verseuchtes Erdreich zunächst behandelt werden muß. Aber, wie gesagt, ich bin da kein Experte. Da müßten Sie die LMBV fragen.«
»LMBV?«
»Die
Lausitzer und Mitteldeutsche
Braunkohlenverwaltungsgesellschaft. Die ist Eigentümer der ehemaligen Braunkohlenkombinate. Sitzt in Berlin. Da hätten Sie dann gar nicht bis zu uns ins schöne Hoyerswerda kommen müssen.«
Lokalpatriotismus macht blind, dachte Esch. Und sagte: »Sie haben mir wirklich sehr geholfen, vielen Dank.«
»Nu.«
Das hatte Rainer nun wirklich noch gefehlt.
Stefanie war sauer, als er wieder die Hotelbar betrat und sich setzte.
»Weißt du eigentlich, daß wir hier seit über drei Stunden auf dich warten? Wahrscheinlich bist du in einer Kneipe an irgendeiner Ecke hängengeblieben. Haste alte Kumpel aus schwerer Zeit getroffen, oder warum hat das so lange gedauert? Mir hängt der Magen bis in die Kniekehlen. Aber wir Idioten halten ja unser Versprechen und warten, bis unser Magenknurren in Recklinghausen zu hören ist.«
»‘tschuldigung. Ging wirklich nicht eher.« Rainer erzählte, wie ergiebig seine Informationsquelle gesprudelt hatte und wie sich nun alles zusammenfügte.
»So kassieren die doppelt. Bei der Bergwerks AG und beim Staat, der die Entsorgung der DDR-Altlasten bezahlt. Der Bergwerks AG erzählen sie, ihre Altöle würden fachgerecht entsorgt. Tatsächlich landen die auf der Millionenkippe, wo sie, nachdem sie mit Erde zugebaggert wurden, von derselben Firma wieder überraschend gefunden und dann möglicherweise tatsächlich entsorgt werden. Oder auch nicht.
Und Schuffer brauchen die, um das Öl in die Kippe zu schaffen. Ein Tankwagen von Dekontent würde auffallen.
Sonst transportiert die Firma hier doch nur verseuchtes Erdreich. Und das wird in Kippern, nicht in Tankwagen gefahren. Jetzt«, schloß er seinen Bericht, »brauchen wir nur noch ein paar Bilder von der Pumpanlage in Herne. Und dann präsentieren wir das Ganze der Polizei und lassen uns
Weitere Kostenlose Bücher