Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
durch.«
»Da lang.« Rainer zeigte nach rechts. Jetzt sah auch der Türke das Hinweisschild: Aussichtspunkt Tagebau Spreetal Millionenkippe.
»Lagern die hier die Alu-Chips?« fragte Cengiz, womit er auf die Münzwährung der untergegangenen DDR anspielte.
»Keine Ahnung, los, fahr.«
Kaya bretterte los. Ein heftiger Schlag gegen die Hinterachse folgte.
»Mensch, das ist mein Auto. Paß doch auf, wohin du fährst«, schimpfte Rainer.
»Das hier ist keine Straße, sondern ‘ne Piste der Westafrikarallye. Hier gibt’s nur Löcher. Mußte dich mit abfinden.«
Ohne Rücksicht auf Mensch und Material raste er die Schotterstraße entlang. Sein Beifahrer dachte mit Schmerzen an die Kosten für neue Stoßdämpfer.
Links neben ihnen tat sich ein Loch von gigantischen Ausmaßen auf. Esch erschien es, als sei es einige Kilometer breit und ebenso lang.
»Was ist das denn?« staunte er. »‘ne Kiesgrube?«
»Völlig verbildet. Das ist, du Ignorant, ein Braunkohlentagebau. Genauer: das, was von ihm übriggeblieben ist.«
»Übriggeblieben? Wieso das denn?«
»Der ist stillgelegt. Wie bei uns die Zechen. Teilweise schon verfüllt. Oder siehst du hier irgendwo ‘nen Bagger?«
»Nee, ist aber auch kein Wunder, bei den Entfernungen.«
»Glaub mir«, lachte Kaya, »den Bagger würdest du sehen.«
Abrupt endete der Weg. Vor ihnen lag das Loch, hinter ihnen eine aufgeschüttete Anhöhe, die ihren Standort um etwa hundert Meter überragte. Am Grund des Tagebaus fuhren LKW und Raupenfahrzeuge.
»Gib mir mal das Fernglas«, forderte Esch.
»Welches Fernglas? Ich dachte, du hast das in den Corsa gepackt?«
»Hab ich auch, verdammt noch mal. Und da liegt es auch.
Mann, wenn wir das hauptberuflich machen würden, müßten wir nach drei Tagen Konkurs anmelden. Bei uns geht aber auch alles schief.«
Cengiz schnappte sich die Kamera. »Hier, nimm das Ding.
Da ist ein Zoom dran. Vergrößert zwar nicht viel, hilft aber was. Kannste auch gleich Bilder machen, wenn’s Motive gibt.«
Er reichte Rainer die Kamera. Der sah durch den Sucher. »Da hinten kommt der Tankwagen. Er fährt in das Loch.«
»In die Grube«, korrigierte der Türke, »soviel Zeit muß sein.«
»Meinetwegen. Er fährt in die Grube. Hält jetzt an und…«
Cengiz unterbrach den Freund. »Seh ich auch. Was ist da bei den Leuten los, das kann ich nicht erkennen?«
Esch benutzte wieder die Kamera als Fernglas. »Sieht so aus, als ob da einige weggeschickt werden. Tatsächlich, die steigen in ihre Wagen und verschwinden.«
Einige Minuten passierte nichts. Erst als der letzte LKW die Grube verlassen hatte, setzte sich der Tankwagen hinter eine Raupe. Einer der Arbeiter befestigte eine Art Kette an dem Gefahrguttransporter und schleppte den Wagen weg von der Schotterstraße etwa drei-, vierhundert Meter zwischen die unbefestigten Erdhügel. Der Brummifahrer stieg aus, öffnete ein Verschlußventil an seinem Fahrzeug und ging zurück zum Führerhaus. Es war deutlich zu erkennen, daß Öl herausspritzte.
»Das ist doch nicht wahr.« Rainer schrie fast: »Sieh dir das an. Sieh dir das an. Die lassen das Öl ab. Lassen es einfach ab.
Einfach so. 3.000 Liter hochgiftiges Öl! Das gibt’s doch gar nicht. Das ist doch nicht wahr.«
»Jetzt krieg dich mal wieder ein. So was Ähnliches hatte ich vermutet.«
»Hattest du vermutet? Und warum hast du uns das nicht gesagt?«
»Weil ich es vermutet, nicht gewußt habe. Komm, laß uns fahren.«
»Warte.« Esch knipste wie besessen. »Einen Moment noch.
Da, sieh. Sie ziehen den Tankwagen wieder raus.«
»Was sollen sie denn sonst damit machen? Stehenlassen?«
»Schwachkopf. Und jetzt schiebt ‘ne Raupe Erde über die Sickerstelle. Verschwindet alles unter der Erde. Clever, wirklich clever.«
»Komm«, drängte Cengiz. »Laß uns fahren.«
Die beiden stiegen in den Golf. Noch ganz gebannt von den Ereignissen, die in der Grube unter ihnen stattgefunden hatten, bemerkten sie den Mann auf dem aufgeschütteten Hügel nicht, der sie während der letzten Minuten sehr aufmerksam beobachtet hatte. Und dieser Beobachter benutzte einen leistungsstarken Feldstecher.
Der Corsa parkte noch an derselben Stelle wie vorher.
Stefanie stand etwas abseits der Straße unter Bäumen. Als sie den Golf näherkommen sah, trat sie an den Fahrbahnrand.
Rainer öffnete die Beifahrertür und platzte los: »Also Stefanie, die kippen das Zeug da hinten einfach in den Tagebau und baggern dann Erde drüber. Am hellichten
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