Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
damit Sauerstoff in die letzten Verästelungen seiner Äderchen zu pumpen. Er hechelte und jeder Atemzug schmerzte. Sein Brustkorb hob und senkte sich wie ein Blasebalg. Er sah Sterne, und wenn er die Augen schloss, begann sich alles um ihn herum zu drehen.
Er war noch nie in seinem Leben so am Ende gewesen. Sollte er diesen Abend lebend überstehen, so schwor er sich, würde er mit dem Rauchen aufhören. Endgültig. Und für den nächsten Volkslauf trainieren.
Nach zwanzigminütiger Erholungspause ging es ihm schon etwas besser. Er wog seine Chancen ab. Bliebe er in den nassen Klamotten hier liegen, war eine Lungenentzündung gewiss. Andererseits war ihm hier zumindest zurzeit kein Lebergesicht und kein Lopitz auf der Spur.
Da Rainer aber nicht wusste, wie lange das andauern würde, entschloss er sich, das Weite zu suchen. Dies war eine der wirklich existentiellen Entscheidungen, die man von Zeit zu Zeit in seinem Leben treffen musste. Dreimal hatte er schon in seinem kurzem Leben vor solchen Problemen gestanden. Beim ersten Mal musste er zwischen den Rolling Stones und den Beatles wählen, eine Entscheidung, die ihn einen Großteil seiner damaligen Freunde kostete. Danach hatte er die Alternative zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund gehabt, was ihm etwa ebenso viele Bekanntschaften genommen wie beschert hatte. Je rund 80.000. Und schließlich die Krönung: Bestellte man zum Fischessen Riesling oder Chardonnay?
Esch schlug sich durch das Unterholz eine kleine Steigung hinauf und erreichte nach einigen Metern eine asphaltierte Straße. Links erkannte er beleuchtete Häuser. Wo Häuser waren, schloss er messerscharf, waren Telefone. Dort würde er die Polizei verständigen können. Denn, und das war der zweite Schwur an diesem Abend, seine privaten Ermittlungen in Sachen EXIMCO in Berlin waren beendet. Und zwar sofort.
Geduckt lief Rainer am Straßenrand entlang, immer bereit, sich sofort wieder in die Büsche zu schlagen. Er bog um eine Kurve, als ihn völlig unvermittelt ein helles Licht blendete.
Scheiße, dachte er, heilige Scheiße. Er hechtete in den Straßengraben, aber es war zu spät.
Autotüren schlugen und jemand rief etwas.
Esch, der nicht gewillt war, sich seinen Gegnern so einfach auszuliefern, versuchte, sich aufzurichten, da vernahm er ein Knurren und spürte den heißen Atem eines dann laut bellenden Hundes. Das Tier baute sich über Esch auf und quittierte jede Bewegung mit einem bösartigen Zähnefletschen.
Resigniert ergab sich Rainer in sein Schicksal.
»Hasso, hier, hier Hasso, aus«, rief jemand.
Der Kegel einer Taschenlampe leuchtete auf Rainers Gesicht.
»Wen haben wir denn da?«, fragte eine andere Stimme. Und sagte dann: »Polizei. Stehen Sie langsam auf und halten Sie Ihre Hände so, dass wir. Sie sehen können.«
»Polizei, Gott sei Dank.«
Esch begann, sich aufzurichten, ohne die Warnung zu berücksichtigen. Der Hund knurrte.
Einer der Polizisten schrie: »Hinlegen. Und Hände auf den Rücken.«
Als Esch bemerkte, dass zwei Pistolen auf ihn gerichtet waren, ließ er sich zurück in den Graben fallen und legte seine Hände auf den Rücken. Sofort spürte er ein Knie auf seiner Wirbelsäule, eine Hand presste seinen Kopf nach unten in den Schlamm, so dass er kaum noch atmen konnte. Zwei andere Hände rissen seine Arme nach hinten und er bemerkte, wie sich Handschellen um seine Gelenke legten. Dann wurde er unsanft angehoben. Schöne Grüße aus dem deutschen Herbst, dachte er. Esch spuckte das aus, was er in den Mund bekommen hatte, und hoffte inständigst, dass es sich lediglich um Schlamm handelte. Allerdings roch es etwas anders.
»Wer sind Sie?«, blaffte ihn ein Polizist an.
»Esch. Mein Name ist Rainer Esch. Ich war Zeuge eines Mordes. Ich möchte…«
»War icke ooch. Jeden Abend beim Krimi. So, Männeken, und jetzt wirste uns abba ma janz schnell erzählen, was du hier um diese Zeit und in diesem Aufzug so vorhast, wa. Oder wo de herkommst.«
»Ich sagte Ihnen doch, ich war Zeuge eines…«
»… Mordes. Wissen wir. Wissen wir schon. So wie du aussiehst, wa, hast du schon eher selbst einen um die Ecke gebracht, wa. Abba das werden wir noch rauskriegen, wa?«
»Also«, fragte der zweite Streifenbeamte, »wie heißen Sie und was haben Sie hier verloren?«
»Sagte ich doch schon. Ich heiße Rainer Esch. Ich war auf der anderen Seite des Flusses in der Saganer Straße und habe dort einen Mord…«
»Jetzt langt es aber! Wenn Sie Zeuge eines Mordes
Weitere Kostenlose Bücher