Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
waren, warum sind Sie dann weggelaufen, als Sie uns sahen?«
»Erstens habe ich nicht Sie gesehen, sondern nur die Lichter Ihres Fahrzeugs, und zweitens hatte ich Angst, dass die Mörder hinter mir her waren.«
»Ausweisen können Sie sich wahrscheinlich nicht, oder?«, wollte derselbe Beamte wissen.
»Natürlich kann ich mich ausweisen.« Esch zeigte mit einer Bewegung seines Kopfes auf die Seitentasche seiner triefenden und völlig ruinierten Lederjacke. »Hier drin ist meine Brieftasche.«
Der jüngere begann, ihn zu durchsuchen. Der Beamte förderte seine Geldbörse, sein Feuerzeug, seinen Zimmerschlüssel und seine Zigaretten zu Tage, jedoch keine Brieftasche.
»Und icke sach noch. Auf der Flucht verloren, wa. Keine Brieftasche, kein Ausweis. Tja, Männeken, Pech jehabt, wa?«
Der andere Polizist war mittlerweile zum Wagen gegangen und hantierte mit dem Funkgerät. »Wie, sagten Sie, ist Ihr Name?«, rief er herüber.
»Rainer Esch«, schrie der zurück.
»Na los, Männeken, können wir jetzt ma?«, fragte sein Bewacher und zerrte Rainer in Richtung Streifenwagen.
»Bevor de dir da abba reinsetzt, machste dir erst ma ‘n bisken sauber, wa.« Er löste Eschs Handschellen und warf ihm dann eine Rolle mit Papierhandtüchern zu. »Abba mach keine Fehler, wa.« Der Polizist klopfte auf sein Pistolenhalfter. »Icke kann damit umjehen, wa. Und dann is da ja och noch Hasso, wa.«
Als sein Name erwähnt wurde, wedelte der Polizeihund andeutungsweise mit dem Schwanz, was Esch aber vernünftigerweise nicht unbedingt auf seine Person bezog.
Hastig begann er seine provisorische Reinigungsprozedur.
»Komm, Michael, beeil dich. Wir sollen den Vogel sofort aufs Revier bringen. Der steht in der Fahndung.« Der ältere legte den Hörer des Funkgerätes zur Seite. »Na, da bin ich ja mal gespannt, wen wir da geschnappt haben.«
Rainer, der sich einen Moment wegen Diebstahls und Einbruchs schon für Jahre hinter Knastmauern verschwinden sah, war ob der Tatsache, zur Fahndung ausgeschrieben zu sein, zu verblüfft, um zu antworten, und ließ sich ohne Widerrede erneut Handschellen anlegen und auf dem Rücksitz verstauen.
Auf der Fahrt zur Polizeiwache inspizierte Esch seine Kleidung. Hose, Hemd und Lederjacke waren völlig verschlammt. Sein linkes Hosenbein war bis zum Knie aufgerissen. Den Unterschenkel zierte eine fast ebenso lange, etwas blutende Risswunde, die höllisch wehtat. Esch verspürte den Drang nach einer Zigarette, wagte aber nicht, danach zu fragen. Außerdem hatte er ja geschworen, nicht mehr zu rauchen, sofern er diesen Abend überlebte.
Da das bis jetzt aber keinesfalls sicher war, fragte er nun doch, alle Bedenken bezüglich des vorausgegangenen Schwures außer Acht lassend: »Entschuldigung. Hätten Sie wohl eine Zigarette für mich?«
»Höflich ist er ja, das muss man ihm lassen.« Der ältere Polizist, der auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich halb zu ihm um. »Nee, tut mir Leid. Nichtraucher. Beide. Und deine Zigaretten«, er zuckte bedauernd mit den Schultern, »sind ein Opfer unserer schönen Spree geworden. Und selbst wenn nicht, du hast ja gehört. Nichtraucher.«
Die Fahrt bis zum Polizeirevier in Treptow dauerte nur wenige Minuten. Esch wurde aus dem Auto gezogen und ins Revier gebracht.
Der Dienst habende, ranghöchste Polizeibeamte entschied nach einem Blick auf den Schlammhaufen, der sich Rainer Esch nannte, dass sich dieser zunächst einer gründlichen Reinigung unterziehen sollte, ehe er verhört wurde.
Nach einem ausgiebigen Duschbad wurde Esch in einen dunkelblauen Polizeitrainingsanzug gesteckt, an dem ihm zwar das Wappen auf der Brusttasche missfiel, der aber wenigstens warm und trocken war. Der Riss in seinem Unterschenkel wurde mit Jod und einer Mullbinde aus der Notfallapotheke verarztet und nach einer heißen Tasse Kaffee und einer Zigarette, die ihm ein mitleidiger und rauchender Polizist zukommen ließ, kehrten Eschs Lebensgeister und sein angeborener Hang zur Aufsässigkeit zurück.
»Ich will meinen Anwalt sprechen, sonst sage ich gar nichts«, protestierte Esch, als ihn ein Polizist, der so aussah, als ob er kurz vor der Pensionierung stünde, aus der Arrestzelle ins Verhörzimmer führen wollte. »Außerdem ist das Freiheitsberaubung. Mindestens.«
Der Berliner Beamte, der schon Jungs anderen Kalibers vor sich gehabt hatte, sagte kein Wort, sondern griff nur nach Eschs rechtem Arm. Als dieser Anstalten machte, sich zu wehren, meinte er: »Mein Junge,
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