Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
habe keine Ahnung, vermutlich irgend so ‘n Junkie, ich hab den doch kaum gesehen.«
»Das ist schon das zweite Mal, dass dir etwas abhanden kommt: Erst die Unterlagen, die dir Grohlers geklaut hat, und jetzt deine Aktentasche. Und da war wirklich nichts drin, was uns irgendwie gefährden könnte? Du weißt, ein Fehler ist schon einer zu viel.«
»Nein, nichts. Wirklich, absolut nichts!«
»Gut. Ich glaube dir. Aber denk daran, du bist die einzige Verbindung zwischen Grohlers und uns.« Lopitz ging zu einem der Schränke, öffnete ihn und holte eine Flasche Schnaps heraus. »Gib mir mal die Gläser.«
Esch sah, wie eine Hand Lopitz erst zwei Gläser reichte und dann eines gefüllt wieder an sich nahm.
»Prost«, sagte Lopitz.
»Prost«, sagte die zweite Stimme.
Lopitz nickte. Dann hörte Esch ein Geräusch, das auch beim Öffnen einer Sektflasche entsteht. Erst als mit einem Poltern ein menschlicher Körper mit einem Schnapsglas in der Hand vor Lopitz auf den Boden fiel, wurde Rainer klar, dass er soeben Zeuge eines Mordes geworden war. Rainer nahm seinen ganzen Mut zusammen und schob seinen Kopf weiter nach vorne, um besser sehen zu können. Der Tote lag auf der Seite, so dass Esch sein Gesicht erkennen konnte: Rallinski.
Blind vor Angst stolperte Esch vom Fenster zurück und trat dabei gegen einen alten Kanister, der mit einem blechernem Geräusch umfiel.
»Was war das?«, schrie Lopitz. »Sieh nach, ob da jemand ist!«
Plötzlich funktionierten Eschs Instinkte wieder. Ohne nachzudenken, rannte er los, nur um nach wenigen Metern festzustellen, dass er die falsche Richtung eingeschlagen hatte.
Das Tor zur Straße lag hinter ihm. Vor ihm befand sich eine Mauer. Er sprang die Wand an, klammerte sich mit seinen Händen an der Oberkante fest, zog sich mit einem Ruck hoch und ließ sich seitwärts über die Mauerkante fallen.
Federnd landete er auf der anderen Seite und hörte im Weiterlaufen den Leberfleckigen rufen: »Ich kann nichts erkennen, Chef. Warte mal, möglicherweise läuft da jemand.
Ich glaub, ich hör da was.«
34
Esch rannte um sein Leben. Zweige peitschten ihm ins Gesicht. Er registrierte, dass ein Automotor gestartet wurde.
Der Mercedes, durchzuckte es ihn. Auf die Straße konnte er nicht zurück. Dort war die Gefahr, geschnappt zu werden, eindeutig zu groß.
Vor ihm tauchte ein gut einundeinhalb Meter hoher Zaun auf.
Mit einem Hechtsprung versuchte Esch, das Hindernis zu überwinden. Sein Oberkörper hatte den Zaun schon hinter sich gelassen, als er einen stechenden Schmerz am linken Unterschenkel spürte. Er rollte sich auf der anderen Seite ab und rannte, den Schmerz ignorierend, weiter.
Rainer passierte eine breite Straße. Er sah in Panik nach rechts und links. Kein Mercedes. Hastig spurtete er über die Straße. Einige hundert Meter vor sich entdeckte er Lichter. So schnell er konnte, lief er in diese Richtung, um kurz darauf festzustellen, dass sich zwischen ihm und den Lichtern ein Spreearm befand.
Esch war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Die in der evolutionären Entwicklung zur hoch technisierten Zivilisation schon fast wegsozialisierten Urtriebe brachen wieder durch.
Flucht, schrien diese Triebe, Flucht. Und da der Rest seines Körpers derselben Ansicht war, sprang Rainer Esch in die Spree.
Die mit Wasser vollgesogene Kleidung behinderte ihn erheblich bei dem Versuch, das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Rainer hatte das Gefühl, schon stundenlang zu schwimmen, als seine Hände plötzlich gegen ein Hindernis stießen. Geschafft, dachte er. Dann stutzte er. Das waren keine Befestigungssteine oder ein normales Ufer. Das war Metall.
Er tastete nach links und rechts, dann nach oben, überall das Gleiche. Spundwände. Esch geriet leicht in Panik. Da war er Lebergesicht und Lopitz knapp entkommen, hatte die Spree durchschwommen und musste nun feststellen, dass er zwar am anderen Ufer angekommen war, aber das Wasser nicht verlassen konnte. Scheiße, so wollte er nicht abtreten.
Tastend schwamm er an den Spundwänden entlang. Seine Kräfte ließen nach, ihm wurde schwindelig. Da spürte er eine Art Nische in der Wand. Er suchte mit den Händen umher und ergriff unvermittelt eine runde Stange. Ein Notausstieg!
Mit letzter Kraft kletterte Esch etwa drei Meter über eine Leiter nach oben und ließ sich völlig erschöpft fallen. Er fühlte sich, als ob er soeben am Ironman-Wettbewerb auf Hawaii teilgenommen hätte.
Sein Herz versuchte verzweifelt, Blut und
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