Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
gearbeitet«, sagte Walter Kusche und leuchtete mit der Lampe unter den Bunker und beide Förderbänder. »Du gehst links vom Band, ich rechts.«
Nach knapp hundert Metern rief Jochen Frühsee: »Walter, komm schnell, ich glaube, hier ist was!«
Walter Kusche kroch unter dem Band hindurch und lief zu seinem Kollegen, der vor zwei zurückgelassenen Transportkisten der Einschienenhängebahn stand. Zwischen den Kisten und der Streckenwand war etwa fünfzig Zentimeter Platz.
Der Steiger näherte sich dem Spalt. Angestrengt blickte er ins Dunkel. Im Schein der Lampe konnte er unter einem Stück Wetterfolie, wie sie zur Herstellung von Wettertüren benutzt wurde, einen Schuh entdecken. Er riss die Folie herunter und erstarrte. Im Lichtkegel blickte er auf eine leblose Gestalt, die mit dem Gesicht nach unten im Kohlenstaub lag. Da, wo sich normalerweise der Hinterkopf befand, war nur noch ein blutiger, zerschmetterter Brei aus Gehirnmasse und Knochensplittern.
Die beiden Bergleute hatten den vermissten Heinz Schattler gefunden.
Walter Kusche erholte sich als Erster von dem Schock.
»Jochen, du bleibst hier. Ich ruf die Grubenwarte an. Die sollen den Inspektor verständigen. Und den Werksarzt.«
Kusche spurtete los, um das nächste Telefon zu erreichen.
Nach einem Blick auf Schattler, der regungslos zwischen Transportkisten und dem Ausbau lag, murmelte sein Kumpel Frühsee leise: »Dass der Arzt noch was tun kann, wage ich zu bezweifeln.«
2
Ein unbarmherziges Schrillen riss Rainer Esch aus dem Schlaf.
Es dauerte einen Moment, bis er sich darüber klar wurde, wo er war. Noch etwas länger benötigte Rainer, um das penetrante Schrillen als das gemeinsame Klingeln seiner drei Wecker zu identifizieren.
Vorsichtig und ohne jede überflüssige Bewegung öffnete er erst das eine, dann das andere Auge. Die Helligkeit im Zimmer ließ ihn die Lider sofort wieder schließen. Esch zog sich die Bettdecke über den Kopf und versuchte weiterzuschlafen.
Ein rhythmisches Pochen unter seiner Schädeldecke hinderte ihn daran. Mit einem Seufzer tiefster Resignation begann Rainer aufzustehen. Als er nach einigen Anstrengungen neben seinem Bett stand, wurde ihm übel. Der Zimmerboden schien von ihm weg nach oben zu kippen. Mit letzter Kraft erreichte er die Tür und hielt sich an der Klinke fest. Dann machte sich Esch an das Unterfangen, lebend das Badezimmer zu erreichen.
Auf dem Weg dorthin schlurfte er an einer geöffneten Zimmertür vorbei. Rainer warf einen Blick in das Wohnzimmer und erstarrte. Überquellende Aschenbecher, halb volle Gläser und Flaschen, Rotweinflecken auf dem hellen Teppich, Pizzareste auf Papptellern im Zimmer verstreut, ein BH, in Regalböden und auf Beistelltischen verteilte Schallplatten und CDs ohne Hüllen, die so aussahen, als seien sie als Bierdeckel missbraucht worden, Turnschuhe, die ihm irgendwie bekannt vorkamen, und fast vertrocknete Blumen in einem Sektkühler, der augenscheinlich als Vase vorgesehen war, nur hatte niemand daran gedacht, Wasser einzufüllen.
Und dieser Jemand war natürlich er selbst gewesen. So oder schlimmer sah seine Wohnung meistens aus, wenn Esch ein paar gute Freunde zu einem gepflegten Umtrunk gebeten hatte.
Er schüttelte sich und beschloss, die Inspektion seiner Küche auf die Zeit nach dem Duschen zu verschieben. Das Hämmern in seinem Kopf wurde stärker.
Rainer setzte den Weg in sein Badezimmer fort und begann dort ergebnislos nach Kopfschmerztabletten zu fahnden. Das Putzen seiner Zähne beseitigte leider nicht den schalen Geschmack auf seiner Zunge. Nur durch den massiven und hochdosierten Einsatz von Mundwasser gelang es ihm, diesen Mangel zu beheben.
Er schleppte sich unter die Dusche und ließ minutenlang lauwarmes Wasser über seinen Kopf laufen. Erst langsam kehrte die Erinnerung an das vergangene Wochenende und den gestrigen Abend zurück.
Freitagabend hatte Rainer seinen besten Freund Cengiz Kaya zum Essen in Hernes bekanntestes griechische Szenelokal, das Neokyma, eingeladen. Anschließend waren sie in die Sonne gefahren, eine ursprünglich grünalternative Kneipe. Dort hatte er noch ein paar alte Bekannte und Freunde aus den wilden Siebzigern getroffen, die immer noch hier verkehrten und mittlerweile zum Inventar gehörten. Gemeinsam begossen sie die alten und neuen Zeiten und Esch hatte, ausgelöst durch reichhaltigen Brandy-und Rieslingkonsum,
leichtsinnigerweise eine Einladung ausgesprochen, die dann folgerichtig zu dem gestrigen
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