Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
acht hatte Hauptkommissar Rüdiger Brischinsky von der Mordkommission der Recklinghäuser Kripo die telefonische Nachricht erreicht, dass im Untertagebetrieb der Zeche Eiserner Kanzler eine männliche Leiche gefunden worden war. Wenig später war Brischinsky mit seinem fünfzehn Jahre jüngeren Assistenten, Kommissar Heiner Baumann, in dem Dienstpassat unterwegs zum Bergwerk.
»Warst du eigentlich schon mal unter Tage?«, wollte Brischinsky von seinem Mitarbeiter wissen.
»Nee, bis jetzt noch nicht. Nur im Bergbaumuseum in Bochum.«
»Zählt nicht. Da ist es nicht warm genug. Außerdem staubt’s da nicht so.«
Nachdem sie dem Pförtner am Haupteingang des Bergwerkes ihre Dienstausweise vor die Nase gehalten hatten, wurden die beiden Beamten in die Büros der Werksleitung im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes geführt. Dort begrüßten sie der Betriebsdirektor für Personal-und Sozialfragen, Humper, als Vertreter des nicht anwesenden Werksleiters und der Personalchef Meiner.
Humper kam sofort zu Sache: »Bei dem Toten handelt es sich um Heinz Schattler, Hauer und seit mehr als achtzehn Jahren bei der Bergwerks AG, davon die letzten zehn auf Eiserner Kanzler. Wir konnten ihn anhand des Werksausweises eindeutig identifizieren. Unser Werksarzt hat gemeldet, dass Schattler schwere Kopfverletzungen aufweist, die nach seiner Meinung nicht von einem Unfall stammen können…«
Brischinsky unterbrach den Direktor: »Der Arzt meint, es sei kein Unfall gewesen?«
»Nein, vermutlich kein Unfall. Außerdem war die Leiche mit einer Plane zugedeckt. Und Schattler war ein äußerst zuverlässiger und sicherheitsbewusster Mitarbeiter. Deshalb haben wir uns gewundert, als uns unser
Arbeitszeiterfassungssystem meldete, dass er nach seiner Nachtschicht heute Morgen nicht wieder ausgefahren ist.«
»Was für ein Arbeitszeiterfassungssystem?«, wollte Brischinsky wissen.
»Jeder Mitarbeiter des Bergwerkes ist mit einem elektronisch lesbaren Ausweis ausgestattet«, erläuterte Meiner. »Den zieht er am Schacht unmittelbar vor der Seilfahrt durch ein Lesegerät. So erfassen wir zum einen für die Gedingeabrechnung die genaue Arbeitszeit…«
»Gedinge?«, fiel ihm Baumann ins Wort. »Das habe ich ja noch nie gehört. Was ist das?«
»Der bergmännische Akkordlohn wird so genannt«, erklärte Humper.
»… zum anderen können wir damit feststellen, ob alle Mitarbeiter nach Schichtende auch wieder ausgefahren sind. Es können ja trotz aller Sicherheitsvorkehrungen Unfälle passieren, die uns weder durch automatische noch manuelle Meldungen bekannt werden.«
»Kommt so etwas häufiger vor?«, erkundigte sich Brischinsky.
»Unfälle? Nein, glücklicherweise nicht. Dass aber jemand unter Tage bleibt, schon. Ist eigentlich Routine. Deshalb erhält jeder Steiger nach Schichtende eine Liste, die die Namen aller Bergleute seines Verantwortungsbereiches enthält, die nicht ausgefahren sind. Die Liste überprüft der Vorgesetzte dann und kann so feststellen, wer noch in der Grube ist.«
»Verstehe.« Brischinsky nickte Meiner zu. »Und als Schattler nicht nach oben kam…«
»… nach über Tage kam«, korrigierte ihn Humper, wofür er sich einen etwas ungehaltenen Blick des Hauptkommissars einhandelte.
»… als er nicht mehr nach über Tage kam, haben Sie vermutlich sofort reagiert und einen Suchtrupp losgeschickt?«
»Nicht ganz. Zunächst haben wir unsere Technik auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft. Fehler sind zwar selten, können aber natürlich auftreten. Erst als der Steiger sicher war, dass kein technischer Defekt vorlag und auch Lampe und Filter nicht an ihrem Platz in der Lampenstube waren, hat er seinen Kollegen von der Frühschicht, der in der Nähe von Schattlers Arbeitsplatz beschäftigt war, gebeten, nachzusehen. Eine organisierte Suche war das nicht. Von Zeit zu Zeit kommt es durchaus vor, dass sich Beschäftigte, die von der Nachtschicht kommen, unter Tage mit Kollegen der Frühschicht beispielsweise über dienstliche Probleme unterhalten und dann verspätet ausfahren. Manchmal schläft auch einer ein, gerade während der Nachtschicht.«
»Wie lange war der Tote denn überfällig?«, fragte der Hauptkommissar.
»Unser Erfassungssystem hat uns um zehn Minuten nach sechs den ersten Hinweis darauf gegeben, dass sich noch Mitarbeiter der Nachtschicht in der Grube befanden, die eigentlich schon über Tage sein sollten. Bis auf Schattler haben sich die Fälle schnell geklärt«, berichtete der
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