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Zweyer, Jan - Rainer

Zweyer, Jan - Rainer

Titel: Zweyer, Jan - Rainer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verkauftes Sterben
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hatte gestern der Besuch bei Lehmann ausfallen müssen. Und da Elke sowieso immer noch nicht mehr als nötig mit ihm sprach, kam ihm der Ausflug sehr gelegen.
    Es war kurz vor zwölf, als er mit dem Cabrio in die Straße einbog, in der die Villa der Lehmanns stand. Das Apothekerehepaar bewohnte das vierte Haus auf der linken Straßenseite. Vor der Garage stand ein weißer Benz der Oberklasse, quer vor der Einfahrt parkte ein dunkler Audi mit Dürener Kennzeichen. Schon wieder ein Mietwagen, dachte Rainer, als er das Nummernschild DN-SI 88 registrierte, und wunderte sich, wie seltsam der Audi parkte: Er blockierte die Garagenzufahrt entgegen der Fahrtrichtung.
    Der Anwalt steuerte den Mazda an den Straßenrand und wollte gerade aussteigen, als er zwei dunkelhaarige Männer aus dem Hauseingang kommen sah, die eilig Richtung Audi liefen. Rainer zuckte zusammen. Einen der beiden kannte er: Michael Müller, dem er in seiner Rolle als Jörg Deidesheim gegenübergesessen hatte.
    Esch rutschte etwas tiefer in seinen Sitz, während die Männer nur wenige Meter von ihm entfernt in den Audi kletterten.
    Müller schaute kurz zu ihm herüber, dann startete er den Wagen mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen.
    Der Audi schoss an dem Mazda vorbei. Rainer erwartete, dass der Fahrer bremste, aussteigen und ihn zur Rede stellen würde.
     
    Was hatte Jörg Deidesheim vor dem Privathaus des Apothekers Lehmann verloren? Aber der Mann schien ihn nicht wiederzuerkennen und der dunkle Audi fuhr, ohne seine Geschwindigkeit zu verlangsamen, weiter. Es dauerte einen Moment, bis dem Anwalt der Grund einfiel, warum ihn Müller nicht erkannt hatte. Eigentlich gab es zwei Gründe. Den einen trug er auf der Nase, den anderen auf dem Kopf.
    Im Rückspiegel beobachtete Rainer, wie der Wagen um die nächste Straßenecke verschwand. Esch wartete ein paar Minuten, stieg aus und marschierte Richtung Haustür der Lehmanns.
    Die Tür war nicht ins Schloss gefallen. Als auf sein mehrmaliges Klingeln niemand reagierte, drückte Rainer zaghaft gegen das schwere Eichentürblatt, sodass es langsam aufschwang.
    Esch steckte seinen Kopf durch den Spalt und rief in den Flur: »Hallo, Herr Lehmann?«
    Es blieb ruhig. Das war verwunderlich. Lehmann hatte doch noch vor wenigen Minuten Besuch gehabt. Oder wohnte einer der beiden Männer sogar hier?
    Rainer rief erneut, dieses Mal etwas lauter. Nichts.
    Schließlich schob er die Eingangstür vollständig auf und betrat den Flur. Nach zwei, drei Schritten blieb er stehen. Die Sohlen seiner schwarzen Lederschuhe verursachten auf dem weißen Marmorboden einen Krach, als ob er zum Stepptanz angetreten wäre.
    »Hallo? Ist jemand zu Hause?« Eine blöde Frage, dachte er.
    Wie sollte die Antwort lauten, wenn niemand da wäre?
    Augenscheinlich war tatsächlich keiner anwesend.
    Folgerichtig gab es keine Antwort. Trotzdem schlich Rainer vorsichtig weiter. »Hallo?«
     
    Immer noch keine Reaktion. Für einen Moment erwog Rainer, das Haus wieder zu verlassen. Streng genommen, beging er einmal mehr Hausfriedensbruch.
    Er war froh, nach weiteren zwei Metern einen edel aussehenden Läufer zu erreichen, der das Geräusch seiner Tritte dämpfte. Er musste schmunzeln. Wie ein Kind, das sich die Bettdecke über den Kopf zog. Nach dem Motto: Wenn man ihn nicht hörte, war er auch nicht da.
    Rechts von ihm befand sich eine Tür. Er lugte durch die Öffnung in den Raum und konnte ein Bücherregal ausmachen, eine Ledercouch, zwei mehr als moderne Bilder an einer Wand. Das war anscheinend das Wohnzimmer. Kurz entschlossen stieß der Anwalt die Tür auf und ging hinein.
    Ein Mann saß tief in einem der Ledersessel und blickte in seine Richtung. Sein Kopf war etwas zur Seite geneigt, der linke Arm lag auf der Sessellehne, der rechte hing schlaff herunter. Die Beine waren leicht angewinkelt, er trug keine Strümpfe.
    Über seine linke Wange lief ein dünnes Rinnsal rotes Blut, das Auge darüber war geschlossen. Noch weiter oben sah Esch ein kleines, schwarz umrandetes Loch. Das andere Auge und weite Teile der rechten Schläfe fehlten. Der Mann war tot.
    Esch unterdrückte einen Schrei und hielt sich die Hand vor den Mund. Er kämpfte die aufkommende Übelkeit nieder und rannte, als er seinen Schrecken überwunden hatte, nach draußen. Vor der Tür schaute er sich erschrocken um, aber der dunkle Audi war nicht in Sicht. Er spurtete zum Mazda und startete den Motor, bereit, beim kleinsten Anzeichen von Gefahr Gas zu geben. Dann

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