Zweyer, Jan - Rainer
wie mich statt.
Angeworben wurden diese Leute in ihren Heimatländern.
Hendrikson erzählte mir, dass er dort einen guten Freund habe, der das für ihn erledigen würde. Ich vermute, nur dieser Bekannte wusste, dass Hendrikson hinter den Aufträgen steckte, die die Helfer ausführten.«
»Und diese Aufträge beinhalteten das Anwerben von Menschen, die bereit waren, Rezeptbetrügereien zu begehen?«, fragte Brischinsky nach.
»Ja.«
»Und das war alles?«
»Vermutlich hat Hendrikson sie auch noch mit anderen Aktivitäten beauftragt. Aber darüber hat er mich nie informiert.«
»Warum sind Sie eigentlich nicht irgendwann zur Polizei gegangen?«, wollte Baumann wissen. »Mehr als zehn Jahre sind eine lange Zeit für Überlegungen.«
»Aber das wissen Sie doch. Nina, meine Frau…« Schmidt wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Der Kommissar gab sich nicht damit zufrieden. »Mehr als zehn Jahre… Das ist doch grotesk! Und Sie haben sich mit Briefen abspeisen lassen! Sind Ihnen denn nie Zweifel an der Geschichte gekommen, die Ihnen Hendrikson aufgetischt hat?«
»Doch, manchmal schon.«
»Und was war dann?«
»Etwa zwei Jahre, nachdem meine Frau verschwunden war, bestand ich auf einem Lebenszeichen. Daraufhin hat mir Hendrikson an einem Autobahnrastplatz Nina, ich meine, ein Kind präsentiert. Ein Baby. Hendrikson hat mich immer wieder vertröstet. Noch ein paar Monate, hat er gesagt. Dann könne ich wieder mit meiner Familie zusammen sein. Immer wieder waren es nur noch ein paar Monate. Irgendwann habe ich einfach aufgegeben. Ich habe nur noch gehofft. Ich… ich habe mir doch immer schon so sehr eine Familie gewünscht.«
Schmidt schluchzte auf.
Baumann schüttelte leicht den Kopf. So ganz konnte er Schmidts Handeln nicht nachvollziehen. Möglicherweise hatte Schmidt ihnen ja lediglich eine rührselige Geschichte aufgetischt, um sich und seine Rolle bei FürLeben in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Andererseits: Sie hatten die Briefe und die Kinderzeichnungen gefunden. War auch das nur ein Bluff gewesen?
Brischinsky dagegen hatte Mitleid mit Schmidt. Bis eben war er noch Ehemann und Vater gewesen, nun musste er sich eingestehen, dass er nicht nur Frau und Kind verloren hatte, sondern auch noch mehr als zehn Jahre seines Lebens einer Fata Morgana hinterhergejagt war. Alles, was er in seinem Leben je geliebt hatte, war von einem Augenblick auf den anderen nicht mehr existent, ja schlimmer noch: war nie existent gewesen.
»Außerdem hatte er mich in der Hand. Ich konnte nicht zur Polizei gehen. Dazu steckte ich doch zu tief drin in seinen Geschäften. Ich wollte nicht ins Gefängnis. Ich wollte nur meine Angehörigen Wiedersehen.«
»Also waren es nicht nur die Familienbande, die Sie bei der Stange bleiben ließen?«, fragte Baumann.
Schmidt schwieg.
»Ist das so?«, übernahm Brischinsky wieder die Gesprächsführung.
Schmidt nickte zögernd. »Ich hatte Angst.«
»Wie finden wir Hendrikson?«, fragte der Hauptkommissar.
»Ich weiß es nicht.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Wir bei FürLeben haben zwar seine Adresse und Telefonnummer. Aber dort meldet sich nur eine Servicegesellschaft, die Anfragen an ihn weiterleitet. Wenn Hendrikson etwas von mir will, meldet er sich telefonisch bei mir. Nur ganz selten ist er ins Büro gekommen. Immer unangemeldet, immer überraschend. Die Agentur selbst gehört inzwischen einer anderen Gesellschaft namens Lichmed mit Sitz in Luxemburg, an der Hendrikson Anteile hat oder die er ganz besitzt. Unser dortiger Ansprechpartner ist ein Rechtsanwalt namens Pierre Gobin. Ich habe aber keine Ahnung, ob der weiß, wo Hendrikson wohnt.«
»Sie können Hendrikson beschreiben?«
»Natürlich.«
»Sehr schön. Ist das eigentlich sein richtiger Name?«
»Ich glaube nicht.«
Brischinsky dachte einen Moment nach. »Herr Schmidt, wären Sie bereit, uns zu helfen, Hendrikson zu schnappen?«
»Darauf können Sie sich verlassen. Ich tue alles, um diesem Schwein zu schaden.«
»Gut. Ich rede mit der Staatsanwaltschaft. Wenn sich der Untersuchungsrichter unserer Auffassung anschließt, kommen Sie heute noch frei. Wir überwachen Ihr Telefon und die Agentur. Sie spielen den Köder, der uns zu Hendrikson führt.
Einverstanden?« Schmidt nickte.
53
Esch nahm die dunkle Sonnenbrille und die Mütze mit extra breitem Schirm und setzte sie auf. Er hatte in den letzten Tagen seine Denkerstirn der Sonne schon genug ausgesetzt. Wegen ihres neuen Mandats
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