Zweyer, Jan - Rainer
doch völlig fertig.
Ich glaube nicht, dass er uns etwas verschwiegen hat. Aber selbst wenn: Ist das ein Grund für Hendrikson, Lehmann umzubringen?«
»Das meine ich nicht. Vielleicht hatte der Apotheker ja etwas, was Hendrikson unbedingt haben wollte.«
»Geld?«
Brischinsky schüttelte den Kopf. »Nein, das wohl nicht. Ich denke eher an irgendwelche belastenden Dokumente.«
»Könnte sein.«
»Mal sehen, ob die Kollegen Spuren finden, die auf eine Durchsuchung des Hauses hindeuten.«
»Oder…« Baumann zögerte.
»Ja?«, ermunterte ihn sein Chef weiterzureden.
»Vielleicht wollte er sich einfach nur rächen. Und ein Zeichen für seine anderen Partner setzen: Seht her, wer mich verrät, bezahlt dafür. Etwas in der Art.«
»Möglich.«
Der Uniformierte unterbrach ihre Diskussion. »Bei der Kreditkarte handelt es sich um die Firmenkreditkarte einer FürLeben GmbH, ausgestellt auf einen Michael Müller.«
»Das habe ich mir fast gedacht.« Brischinsky kletterte langsam aus dem Wagen. »Hendrikson läuft Amok.« Er drehte sich zu Heiner Baumann um. »Der Samstag ist ohnehin gelaufen. Überprüfe bitte alle Flüge, die heute oder morgen von Düsseldorf abgehen, ob ein Michael Müller auf einen von ihnen gebucht ist. Ich bin mir sicher, dass er Deutschland auf dem schnellsten Weg verlassen will. Ach ja, und dann will ich Paul Mühlenkamp sprechen. Und diese Sabine… Wie heißt die gleich?«
»Schollweg.«
»Genau. Vielleicht können die beiden schon morgen kommen. Noch etwas: Hol dir die Unterlagen von Esch. Ich will sie so schnell wie möglich auf meinem Schreibtisch haben.« Langsam humpelte er Richtung Haus, um mit dem Spurensicherer zu reden. »Wenn man nicht alles selber macht«, murmelte er im Weggehen.
Baumann unterdrückte eine Entgegnung. Das war wieder der Rüdiger Brischinsky, den er kannte. Die Wirkung des Atracuriumbesilat, oder was immer man Brischinsky verabreicht hatte, schien nachzulassen.
55
Esch fuhr noch am späten Nachmittag mit dem Aktenordner Mühlenkamps im Recklinghäuser Polizeipräsidium vorbei und gab ihn beim Pförtner ab. Bei dieser Gelegenheit hatte er auch gleich die Kiste mit den Karl-May-Romanen eingepackt.
Nun steuerte Rainer den Wagen nach Recklinghausen-Süd und parkte vor dem Haus, in dem nach Sabine Schollwegs Angaben der kleine Freund ihres verstorbenen Partners wohnte.
Rainer öffnete den Kofferraum, um das Buchpaket herauszuholen, überlegte es sich dann aber doch anders. Wenn bei Gröners niemand zu Hause war, schleppte er die Kiste völlig unnötig zwischen Haus und Wagen hin und her.
Esch überquerte die Straße. Links neben der Haustür lehnte ein höchstens Zehnjähriger und paffte lässig und mit größter Selbstverständlichkeit eine Zigarette. Der Knirps musterte ihn gründlich. Rainer fand den richtigen Klingelknopf, schellte und wartete. Nichts.
»Woll’n Se zu Gröners?«, fragte der Kleine und schnipste weltmännisch die Asche von seiner Kippe.
»Ja«, antwortete Rainer.
»Sind nich da.«
»Das habe ich bereits bemerkt.«
»Wat woll’n Se denn von Gröners?« Er nahm einen tiefen Zug.
Im ersten Moment wollte der Anwalt den Jungen einfach stehen lassen, antwortete ihm dann aber doch. »Ich möchte zu Sven.«
»Un wat woll’n Se von dem?«
»Ich habe ein Geschenk für ihn.«
»Och, ährlich?«
»Ehrlich.«
»Wat denn für ‘n Geschenk?«
»Bücher.«
»Ach so.« Das Interesse des kindlichen Zerberus erlahmte sichtbar. Bücher schienen kein Geschenk zu sein, über das er sich besonders freuen würde.
»Es sind Indianerbücher. Von Winnetou und so.«
»In Echt?«
»Wenn ich es sage.«
»Darf ich die angucken? Schwarze Feder, ich mein Sven, ist unser Häuptling.« Der Junge wuchs um mindestens zehn Zentimeter. »Und ich bin Flinker Falke. Sein Späher.«
»Geht klar. Komm mit.«
Flinker Falke trottete hinter Rainer her zum Mazda. Der Anwalt öffnete den Kofferraum und holte den oben liegenden Band aus dem Karton. »Unter Geiern«, las er den Titel vor und reichte den Roman weiter. »Hier.«
Der Kleine bewunderte die Coverzeichnung und blätterte dann die Seiten durch. »Sind ja keine Bilder drin«, bemängelte er. »Dat is langweilig.« Er gab das Buch zurück.
»Wie man es nimmt. Die Bilder entstehen beim Lesen im Kopf.«
Flinker Falke wirkte nicht besonders beeindruckt.
»Sven wird sich darüber sicher freuen.«
»Meinen Se?«
»Ja. Weißt du, wann die Gröners wieder zu Hause sind?«
Der Knirps überlegte.
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