Zweyer, Jan - Rainer
Schulter schmerzt etwas.« Er tastete sie ab.
»Ansonsten ist alles okay.«
Der Anwalt zückte wieder sein Feuerzeug. Flackernd schoss die Flamme empor. Da, wo eben noch eine Holztür gewesen war, gähnte jetzt ein dunkles Loch. Cengiz hatte durch seinen Sturz den Metallring, der das Vorhängeschloss hielt, aus der Verankerung gerissen. Der linke Torflügel war aufgesprungen und stand offen.
»Lass uns abhauen«, flehte Cengiz. »Bevor jemand kommt.«
»Warte. Ich will da kurz einen Blick reinwerfen. Ich bin sofort wieder da.«
»Rainer, bitte lass den Unsinn.«
Zu spät. Rainer hatte die Garage bereits betreten.
Mithilfe des spärlichen Lichts, das sein kleines Feuerzeug warf, konnte Rainer nicht viel erkennen. Aber was er sah, reichte ihm. In einer Ecke waren Dutzende Kisten gestapelt, die den Aufklebern nach zu urteilen Hi-Fi-Komponenten, aber auch Computerzubehör enthielten. Auf einem kleinen Tisch standen vier kleinere Kartons, deren Beschriftungen nur einen Schluss zuließen: Sie enthielten Medikamente. Schlagartig fühlte sich Rainer ziemlich nüchtern.
Er lief zurück zum Tor. »Ich brauche dein Telefon.«
Cengiz hatte es sich auf einem kleinen Steinhaufen bequem gemacht und war kurz vor dem Einnicken. »Für ‘n Taxi?«, fragte er.
»Wie kann ich mit dem Ding Fotos schießen?«
»Links der Knopf. Einfach draufdrücken.« Mit diesen Worten versank Cengiz wieder in den Halbschlaf.
Kurz darauf hatte Rainer fünf Aufnahmen von dem mutmaßlichen Diebesgut gemacht. Er schloss vorsichtig das Tor wieder, weckte seinen Freund und schlurfte mit ihm Arm in Arm Richtung Castroper Straße. Er hatte eigentlich nicht das Gefühl, etwas Ungesetzliches getan zu haben. Das Ganze war schließlich nur ein Unfall gewesen. Mehr nicht. Und der kleine Blick um die Ecke… reine Neugier.
56
Der Haftbefehl für Michael Müller wurde am Sonntagmorgen gegen elf Uhr unterzeichnet.
Gegen Mittag kehrte Heiner Baumann ins Präsidium zurück und ließ sich frustriert in den Sessel fallen.
»Was ist los?«, fragte Brischinsky.
»Hier. Lies das. Der offizielle Bericht unserer Kollegen aus Düsseldorf.« Baumann knallte ein Schriftstück auf den Schreibtisch. »Scheißbürokratie.«
»Erzähl es mir. Schlechte Nachrichten erfahre ich lieber mündlich. Und du siehst aus, als ob du keine guten Nachrichten überbringst.«
»Stimmt. Ein Michael Müller war heute Morgen auf die Frühmaschine nach Bukarest gebucht. Abflug ab Düsseldorf um 6.20 Uhr. Wir haben schon um kurz nach fünf unsere Positionen am Gate 72 bezogen. Wer nicht erschien, war Müller. Wir haben umsonst gewartet. Den Blick auf die Passagierlisten der anderen Flüge hat uns der Verantwortliche der Lufthansa zunächst verweigert. Datenschutz, hieß es als Begründung. Den zuständigen Staatsanwalt haben wir dann leider erst gegen zehn Uhr an die Strippe bekommen, weil er gestern auf einem Sommerfest in der Staatskanzlei war. Vorher war der Herr unpässlich. Eine halbe Stunde später konnte endlich die Verfügung auf Auskunftserteilung zugestellt werden. Müller hatte nach Frankfurt umgebucht. Genauso wie ein gewisser Josef Ivanceau.«
»Ivanceau? Ist das nicht der Mädchenname von Eva Schmidt?«
»So ist es. Das kann kein Zufall sein. Vermutlich handelt es sich dabei um den zweiten Mann, den Esch gesehen hat.
Ivanceau ist erst gestern nach Deutschland eingereist. Passt also alles in das Muster: einreisen, Tat ausüben, ausreisen. Und während wir uns am Gate 72 die Beine in den Bauch gestanden haben, haben Müller und Ivanceau in aller Ruhe zehn Gates weiter eingecheckt, sind um 6.05 Uhr abgeflogen und in Frankfurt um 10.50 mit einem Anschlussflieger nach Bukarest gestartet. Sie haben uns, um es salopp zu formulieren, voll auflaufen lassen.«
»Mist! Wann landen sie in Rumänien?«
»Um 14.05 Uhr Ortszeit.«
Brischinsky sah auf die Uhr. »Dann haben wir noch zwei Stunden. Hier liegt der Haftbefehl.«
»Reicht nicht.«
Der Hauptkommissar sah Baumann fragend an.
»Steht alles in dem Dossier. Ohne internationalen Haftbefehl ist die Polizei in Bukarest nicht bereit, etwas zu unternehmen.
Müller und Ivanceau haben sich in Rumänien nichts zu Schulden kommen lassen. Unser Tatverdacht reicht den werten Kollegen bedauerlicherweise nicht aus.«
»Und warum beantragen wir keinen internationalen Haftbefehl?«
»Das haben wir bereits getan. Vermutlich bekommen wir ihn auch. Aber leider erst morgen. Dann sind die beiden mit Sicherheit schon
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