Zweyer, Jan - Rainer
Namen der Leute, die er irgendwann irgendwo getroffen und die nicht nur einen Entzug hinter sich gebracht hatten, hatte er wieder vergessen. Wenn einen das Leben ankotzt, macht man sich nicht sehr viel aus den Namen von Toten.
»Die Medikamente reichen für eine Woche. Dann sehen wir uns wieder. Bitte vereinbaren Sie…«
Der Junkie nickte folgsam.
Er wartete an der Theke im Vorraum, bis ihm eine der Praxisangestellten ein Rezept in die Hand drückte. Leicht beschwingt trat er auf die Straße. Alles war glatt gelaufen.
Sein Auftraggeber wartete wie vereinbart in dem dunklen Mercedes am Porscheplatz.
»Hast du das Rezept?«, fragte der Mann.
Snoopy holte den Wisch aus der Tasche und reichte ihn hinüber. Im Gegenzug erhielt er drei Braune.
»Morgen gehst du wieder in die Praxis. Sag dem Doc, du hättest das Rezept verloren. Oder es sei dir geklaut worden.
Völlig egal, was du ihm erzählst. Er wird dir ein neues ausstellen.«
»Sicher?«
Der Typ lachte. »Schon mal was vom hippokratischen Eid gehört? Der Arzt muss dir helfen. Selbst wenn er Zweifel hat.«
Der Mann gab ihm einen Zettel. »Hier sind die Adressen von zwei weiteren Ärzten. Dort ziehst du die gleiche Chose durch.
Aber lass dich nicht auf Termine ein, die erst in zwei oder drei Wochen stattfinden sollen. Man weiß nie, wie schnell der Datenabgleich bei den Krankenkassen funktioniert. Hast du verstanden?«
»Ich bin ja nicht blöd.«
»Okay. Wir sehen uns morgen. Wieder um diese Zeit. Jetzt schieb ab. Und halt bloß die Schnauze.«
Snoopy stieg aus. Das war nun wirklich leicht verdiente Kohle gewesen. Als er sich nach fünfzig Metern umdrehte, beobachtete er, dass ein ihm flüchtig Bekannter in den Wagen stieg. Der hing auch an der Spritze.
13
Martina Spremberg schaute in Rainers Büro. »Es geht aufwärts mit dem Laden hier. Schon wieder eine neue Mandantin.«
»Och nee.« Rainer dachte an seine unerledigten Schriftsätze.
»Schick sie zu Elke.«
»Geht nicht. Sie ist bei Gericht. Außerdem hat die Frau nach dir gefragt.«
»Auch das noch.« Er nickte gequält. »Gut. Warum immer ich?«
Die junge Frau war blond, blauäugig, trug eine Pagenfrisur, hatte eine knabenhafte Figur und war höchstens fünfundzwanzig – ehe sie auch nur ein Wort gesagt hatte, wurde sie schon klassifiziert und etikettiert. Rainer fragte sich, ob auch Frauen solche Musterungen vornahmen. Sie stellte sich als Sabine Schollweg vor und hatte tiefe Ringe unter den Augen.
»Was kann ich für Sie tun?« Der Anwalt griff zu seiner Zigarettenschachtel und warf seiner Besucherin einen fragenden Blick zu. Als sie nicht darauf reagierte, steckte er sich ungerührt eine Reval an und erkundigte sich erst dann, ob es sie störe. Seine Mandantin verneinte, lehnte es aber ab, einen seiner Lungentorpedos anzunehmen.
Stattdessen suchte sie in ihrer Handtasche und fand schließlich eine dieser in Menthol getränkten Scheußlichkeiten, die nach Rainers Auffassung eine Beleidigung für die Geschmacksnerven jedes Hardcore-Rauchers waren.
Mit zitternden Fingern setzte sie die Zigarette in Brand. »Ist Ihnen der Name Horst Mühlenkamp ein Begriff?«
»Natürlich.« Schließlich hatte sich Rainer, sofort nachdem er das Bild des Toten in der Zeitung gesehen hatte, mit der Bochumer Kripo in Verbindung gesetzt. Allerdings wurde seine Aussage nicht mehr gebraucht. Andere waren schneller gewesen. Tageszeitungen werden üblicherweise vor dem frühen Nachmittag gelesen. Aber egal. Er war seinen Aufgaben als Organ der Rechtspflege ohne Zögern nachgekommen.
»Er ist tot.«
»Ich weiß. Ich habe die Zeitung gelesen. Wie…?«
»Vorgestern Morgen. Die Polizei sagt, es sei beim Joggen passiert.«
»Was? Aber ich dachte…?«
»Es hat nichts mit der Leukämie zu tun. Glaube ich jedenfalls«, schränkte sie ein. »Die Polizei vermutet, dass Horst einen Herzinfarkt erlitten hat.«
»Einen Herz…? Scheiße.« Da springt der Kerl dem Tod von der Schippe und besiegt die Leukämie und dann gibt er wegen eines profanen Infarktes den Löffel ab. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?, dachte Rainer.
Sabine Schollweg reichte dem Anwalt einen verschlossenen Umschlag. »Den hat er mir schon im Januar gegeben, kurz nachdem er bei Ihnen war.«
Esch riss das Kuvert auf. Er las:
Recklinghausen, 25. Januar 2001
Sehr geehrter Herr Esch,
wenn Sie dieses Schreiben lesen, bin ich tot. Jetzt, wo ich diesen Satz geschrieben habe, merke ich erst, wie sehr sich die Formulierung nach einem
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