Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zweyer, Jan - Rainer

Zweyer, Jan - Rainer

Titel: Zweyer, Jan - Rainer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verkauftes Sterben
Vom Netzwerk:
energisch blitzenden Augen sah, wurde ihm klar, dass die zierliche Person in diesem Moment fast alles tun würde, um an das Schreiben ihres Geliebten zu kommen. Der Anwalt war hin-und hergerissen.
    Einerseits fühlte er sich verpflichtet, den posthumen Wunsch seines Mandanten zu respektieren; andererseits konnte er die Gefühle Sabine Schollwegs gut nachvollziehen.
    Sie wiederholte ihren Wunsch, dieses Mal etwas lauter.
    »Bitte!«
    Rainer hatte eine Entscheidung getroffen. Er nahm den Brief und reichte ihn ihr hinüber. Dann stand er auf, ging zum Fenster, drehte ihr den Rücken zu und sah hinaus. Er wollte das Zimmer nicht verlassen, Sabine Schollweg aber etwas Privatsphäre ermöglichen.
    Er hörte ihr leises Weinen.
    Nach etwa zehn Minuten schnäuzte sie sich kräftig und sagte:
    »Ich danke Ihnen.«
    Rainer kehrte an seinen Platz zurück. »Wie lange kannten Sie Herrn Mühlenkamp?«
    »Seit mehr als vier Jahren. Herr Esch…« Sie stockte. Dann hatte sie sich dazu durchgerungen, den Satz zu vollenden.
    »Können Sie mir sagen, wo diese Teutoburgia-Siedlung ist?«
    »Sie stammen nicht aus Herne?«
    »Nein. Aus Münster.«
    »Dann haben Sie nicht mit ihm zusammengelebt?«
    »Nein.«
    »Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?«
    »Ich habe seit zwei Tagen versucht, Horst oder seinen Bruder zu erreichen. Gestern endlich hat Paul abgenommen. Er hat es mir gesagt. Die Polizei war bei ihm gewesen. Paul besitzt ein kleines Haus in Recklinghausen. Dort hatte auch Horst seine Wohnung.«
    »Verstehe.«
    »Wo ist…«
    »Ach ja. Die Teutoburgia-Siedlung liegt an der Stadtgrenze zu Castrop-Rauxel, das ist im Osten der Stadt.«
    »Ist das sehr weit von Recklinghausen entfernt?«
    »Das kommt darauf an. Recklinghausen ist groß.«
    »Ich meine, von Horsts Wohnung.«
    Rainer versuchte, sich zu erinnern, wo Mühlenkamp gemeldet war. Es war ihm entfallen.
    »Horst hat in der Leusbergstraße in Recklinghausen-Süd gewohnt.«
     
    Die Straße lag in unmittelbarer Nähe der Uferstraße, wo Rainer sich vor Jahren mit nicht sehr durchschlagendem Erfolg als Privatdetektiv versucht hatte.
    »Mit dem Wagen über die Autobahn vielleicht zehn Minuten.«
    »Und zu Fuß?«
    »Das sind bestimmt sieben oder acht Kilometer.«
    »Gibt es einen anderen Park in der Nähe von Horsts Wohnung, in dem man gut joggen kann? Oder ist dieser Wald an der Teutoburgia-Siedlung der nächste?«
    »Nein, natürlich nicht. Der Schlosspark Strünkede in Herne ist nicht weit. Viele laufen auch am Kanal entlang. Das ist sogar noch näher. Aber warum fragen Sie?«
    »Horst ist oft gelaufen. Auch schon sehr früh am Morgen.
    Die Ärzte meinten, das sei gut für sein Immunsystem. Immer wenn er in Münster bei mir zu Besuch war, hat er von seiner Runde frische Brötchen mitgebracht.« Sie lächelte bei ihren Worten. »Dann hat er mir das Frühstück im Bett serviert. Er war…« Sie unterbrach sich mitten im Satz. Ihre Augen wurden wieder feucht.
    Rainer schaufelte verlegen irgendwelche Unterlagen von links nach rechts. Bis auf das leise Rascheln der Papiere war nur der Straßenlärm zu hören, der durch das geöffnete Fenster in Rainers Büro hineinwehte.
    »Er war doch wieder ganz gesund«, schluchzte sie. »Sogar die Medikamente, die er sonst immer nehmen musste, hatten die
    Ärzte abgesetzt. Nur die monatlichen
    Kontrolluntersuchungen haben ihn noch an seine Krankheit erinnert.«
    Plötzlich machte Sabine Schollweg eine kurze Handbewegung, als wollte sie ein Gespenst verscheuchen. »Ich wundere mich, dass Horst zum Laufen nicht die näher gelegenen Möglichkeiten wahrgenommen hat.«
     
    Rainer dachte an seine Kindheit, in der er sich häufig bei seinen Großeltern in der Teutoburgia-Siedlung aufgehalten hatte. »Vielleicht hat ihm der Wald besonders gut gefallen?«, vermutete er.
    »Und dafür nimmt er solchen Entfernungen in Kauf?« Sabine Schollweg schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Ich sagte doch, mit dem Wagen sind es nur…«
    »Nein, nein«, unterbrach sie ihn. »Horst hatte kein Auto. Er hatte noch nicht einmal einen Führerschein.«
     
    14
    »Das haben Sie einfach so geschluckt? Wir wissen nicht, wo uns der Kopf steht, und Sie… – Haben Sie sich eigentlich mal sachkundig gemacht, wie dünn unsere Personaldecke zurzeit ist? – Das habe ich mir gedacht. – Vorgesetzte, wenn ich das schon höre. Es wäre zu begrüßen, wenn sich auch in der Staatsanwaltschaft Bochum langsam der Gedanke durchsetzen würde, dass Anweisungen nicht allein deshalb

Weitere Kostenlose Bücher