Zweyer, Jan - Rainer
Brilli da und alles ist wieder in Ordnung, nicht wahr?«
»Hängt vom Vergehen ab, denke ich. Und von der Größe des Schmuckstücks.«
Martina lachte unwillkürlich auf. »Bei mir vielleicht. Aber nicht bei Elke.«
»Was hat sie dir erzählt?«
»Nichts.«
Rainer kam ein Gedanke. »Hat sie heute noch Termine?«
»Bis gegen drei ist sie bei Gericht. Danach ist nichts mehr.«
»Gut. Bist du so nett, rufst im Forsthaus an und reservierst einen Tisch?«
»Heute ist Dienstag.«
»Und?«
»Ihre Doppelkopfrunde.«
Richtig, seit etwa einem Jahr traf sich Elke mit befreundeten Juristinnen regelmäßig zum Doppelkopf. Rainer hatte sich einmal der illustren Runde anschließen wollen, war aber von Elke mit der Bemerkung abgefertigt worden, dass die Freundinnen keine Lust hätten, sich den ganzen Abend dumme Männersprüche über die angeblichen Fehler Karten spielender Frauen anzuhören.
»Dann für morgen Abend.«
»Morgen hat sie einen auswärtigen Termin in Köln. Das wird spät.«
»Seit wann bestimmst du, wann ich mich mit meiner Freundin treffe?« Das klang harscher als beabsichtigt.
»Wie du meinst.« Martina wirkte verschnupft.
Natürlich hatte sie Recht. Der Prozess in Köln konnte sich hinziehen. Beweisaufnahme. Mindestens sechs Zeugenvernehmungen. Ein ziemliche Schlaucherei. Und anschließend hatte Elke in der Regel nur noch Lust auf ihre Couch und etwas Musik oder Glotze – und keine auf ein romantisches Candle-Light-Dinner.
Rainer seufzte. In den alten Zeiten hatte er zwar keine Anwaltkanzlei besessen, dafür aber wenigstens seine privaten Verabredungen ohne Kalender und Sekretärin treffen können.
»Entschuldigung. Was ist mit Donnerstag?«
Martina nickte. »Sieben Uhr?«
»Ja. Und bitte auf der Terrasse. Den Tisch ganz hinten.«
»Geht klar.«
Der Anwalt drehte sich um.
»Rainer?«
»Ja?«
»Deine Zeitung.« Sie drückte ihm die WAZ in die Hand.
Er machte es sich in seinem Sessel bequem und faltete die Zeitung auseinander. An einem Kommentar des Chefredakteurs blieb er hängen. Der Journalist äußerte sich dermaßen staatstragend über den Bundesaußenminister und dessen angebliche Jugendsünden, dass Rainer sich fast an seinem Mineralwasser verschluckte. War das wirklich der Typ, der vor einem Vierteljahrhundert die erste Herner Alternativkneipe mitgegründet hatte?
Rainer kam der Song Bob Dylans in den Sinn. The times the are a-changin!
Das galt auch für ihn. Früher an der Uni Mitglied der Rote Zelle Jura, heute erwog er den Eintritt in die SPD – natürlich nur aus taktischen Überlegungen. So konnte er vielleicht das eine oder andere Mandat an Land ziehen, redete er sich ein.
Auch nicht unbedingt ein Beispiel für einen gradlinigen Lebenslauf.
Er blätterte weiter. Im Sportteil kein Fußball, sondern nur der Rück-und Ausblick auf irgendein Autorennen, bei denen die Fahrer in hoch technisierten Maschinen mehr lagen als saßen und für ein fürstliches Salär im Kreis herumfuhren.
Und dann erst der Lokalteil! Waren die Sportseiten ohne Bundesliga nur zum Gähnen, musste der geneigte Leser während der Sommermonate den Eindruck gewinnen, dass sich die Lokalredakteure jeden Morgen haareraufend fragten, ob sich ihr Publikum mit der Jahreshauptversammlung der Interessengemeinschaft Streichelzoo oder dem 578. Leserbrief zum Thema Warum bringt mich die projektierte forensische Klinik in Wanne um den Schlaf? langweilen sollte.
Heute war das allerdings anders. Auf der ersten Seite des Herner Teils blieb Rainers Blick an einem zweispaltigen Foto hängen. Wer kennt diesen Mann?, fragte die Überschrift darüber. Der Anwalt musste nicht lange überlegen. Er hatte dem Mann noch vor vier Tagen hier in seinem Büro gegenübergesessen. Der Tote auf dem Bild war der leukämiekranke Horst Mühlenkamp.
12
Ihm war nicht ganz wohl bei der Sache. Einen CD-Player im Elektronikmarkt mitgehen lassen und dann verticken, okay.
Das lief anonym ab, solange man nicht erwischt wurde, natürlich. Aber das Ding hier?
Andererseits: Was sollte schon passieren? Im Grunde ging er kein Risiko ein. Er hatte sich mit Anita besprochen. Sie waren übereingekommen, dass er es einmal versuchen sollte. Dann würde man weitersehen.
In seiner Tasche trug er die Versicherungskarte eines Jens Libber, der in Essen in der Rellinghauser Straße wohnte. Die Karte sei echt, hatte ihm der Typ in dem dunklen Mercedes erklärt. Dieser Libber war zwei Jahre älter als er selbst, ebenfalls ein Junkie, aber nicht
Weitere Kostenlose Bücher