Zweyer, Jan - Rainer
Zweifel?«, fragte Baumann zurück.
»Habe ich mich irgendwie unklar ausgedrückt?
Achtundneunzig Prozent Übereinstimmung, zwei Prozent Zweifel. Genauer geht’s nicht. Sie bekommen den Bericht schriftlich nachgereicht.«
»Danke«, sagte der Kommissar hastig.
»Keine Ursache. Dafür werden wir bezahlt.« Das Knacken verriet, dass der Mediziner der Meinung war, das Gespräch habe lange genug gedauert.
»Mühlenkamp ist vor seinem Tod tatsächlich an den Händen gefesselt gewesen«, wandte sich Baumann an seinen Chef.
»Mit dem Seil, das ich im Garten der Brüder entdeckt habe.«
»Ach nee.«
»Allerdings behauptet Paul Mühlenkamp, dass sein Bruder Horst häufiger mit Nachbarskindern Indianer gespielt hat. Der Baum im Garten sei der Marterpfahl gewesen.«
»Na toll. Wäre ja auch zu schön gewesen. Was hast du jetzt vor?«
Baumann blickte zur Uhr. »Mich mit diesem Indianerstamm unterhalten.«
»Vergiss nicht, Esch wegen der Unterlagen anzusprechen.«
Brischinsky hatte nicht besonders überrascht gewirkt, als ihm Baumann von Rainer Esch erzählt hatte. Stattdessen hatte er nur etwas von einem freien Land gemurmelt, in dem sich jeder den Anwalt nehmen könne, den er wolle. Er hatte noch hinzugefügt, dass bei Anwälten wie bei Regierungen jeder das bekomme, was er verdiene. »Es würde mich brennend interessieren, was der Kerl mit dieser Schollweg zu schaffen hat.«
»Ich habe mit seiner Kanzlei telefoniert. Morgen Nachmittag ist er zu sprechen.«
Heiner Baumann kurvte mit seinem Passant durch die Straßen in dem Viertel, in dem sich auch die Wohnung der Mühlenkamps befand. Ohne Erfolg. Der Junge, den er als Schwarze Feder kannte, war wie vom Erdboden verschluckt.
Der Kommissar sah auf die Uhr. Es war kurz nach eins. Noch einmal um den Block und dann würde er die Suche abbrechen.
Er lenkte den Wagen in die Uferstraße, um so zurück auf die Bochumer Straße zu gelangen. Da bemerkte er einen Knirps von vielleicht sieben, acht Jahren, der ihm vage bekannt vorkam. Vielleicht war er ein Mitglied der Bande, die Mühlenkamps Garten heimgesucht hatte.
Baumann bremste scharf, hielt an und stieg aus. »He du«, rief er dem Jungen zu. »Warte einen Moment.«
Mit skeptischem Blick blieb der Junge stehen.
»Was machst du überhaupt zu dieser Zeit auf der Straße?
Müsstest du nicht in der Schule sein?«
»Ferien«, bekam Baumann zur Antwort.
»Stimmt. Kennst du jemanden, der sich Schwarze Feder nennt? Etwas größer als du, blonde Haare, etwas älter.«
»Wer will dat wissen?«, gab der Knirps, ein Kaugummi lässig aufblasend, zurück.
»Die Polizei will das wissen«, erwiderte Baumann.
»Glaub ich nich. Kann jeder sagen.« Mit einem Plopp platzte die Kaugummiblase und ein dünner weißer Film legte sich über das Gesicht des Knaben. Mit spitzen Fingern zog der Kleine das Zeug ab, rollte es mit einem dreckigen Zeigefinger und Daumen sorgfältig zu einem Knäuel zusammen und steckte sich das fertige Produkt wieder in den Mund. »Harn Se
‘nen Ausweis?«
»Natürlich.«
»Zeigen«, befahl der Junge.
Baumann zückte seinen Dienstausweis.
Mit vorgeblichem Kennerblick untersuchte der Bursche etwa eine Minute das Papier. »Könnte echt sein«, meinte er.
»Ist echt«, antwortete Baumann.
»Sagen Sie. Harn Se ‘ne Wumme?«
»Jetzt hör mal zu…«
Als Antwort zuckte der Knirps mit den Schultern. »Sie wollten wat von mir, oder?«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
Leicht genervt ging Baumann zum Passat zurück, griff ins Handschuhfach und hielt seine Dienstpistole hoch. »Nun zufrieden?« Er packte sein Schießeisen zurück an seinen Platz und verriegelte den Wagen. »Also, was ist nun?«
»Wat is für mich drin?«, erkundigte sich sein Gesprächspartner.
Für einen Moment wollte Baumann aus der Haut fahren, besann sich dann aber doch eines Besseren. »Fünfzig Cent.«
»Reicht ja kaum für ‘n Eis«, maulte der Kleine. »Ein Euro.«
»Abgemacht.«
Der Junge streckte die Hand aus. »Erst die Knete.«
Baumann atmete tief durch und griff zu seiner Geldbörse.
Einen Moment später war der Deal perfekt.
»Klar kenn ich Schwarze Feder. Is unser Häuptling.«
»Weißt du, wo der wohnt und wie er heißt?«
»Logo.«
»Und?«
»Sven Gröner. Wohnt da umme Ecke.« Er zeigte Richtung Bochumer Straße. »Is zu Hause. Hat Stubenarrest. War et dat?«
Baumann nickte.
Die Mutter von Schwarze Feder erlitt fast einen Herzinfarkt, als Heiner Baumann mit dem Dienstausweis in der Hand
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