Zweyer, Jan - Rainer
Pressefritze. »Schlimm genug, dass unsere Mitarbeiterin am Wochenende nichts anderes getan hat, als den ganzen Scheiß abzutippen. Aber sortieren: Nee, das ist euer Job. Viel Spaß.« In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Zu eurer Information: Es sind genau einhundertzweiundvierzig!«
»O Scheiße«, stöhnte Brischinsky und verdrehte die Augen.
Er kippte den Karton um und der Inhalt ergoss sich über die Schreibtischplatte. Der Hauptkommissar warf einen flehentlichen Blick zu Baumann. »Hilfst du mir?«
»Ehrensache«, antwortete dieser verwundert. Normalerweise bat Brischinsky nicht, sondern ordnete an. Der verletzte Fuß schien ihn zu besänftigen. Wenn es nach Baumann ginge, konnte dieser Zustand noch länger andauern.
Vier Stunden später hatten sie drei Haufen gebildet. Auf dem ersten Stapel waren alle Anrufer gelandet, die offenkundig nicht ganz richtig im Kopf waren: ältere Damen, die ihren verstorbenen Ehegatten erkannt haben wollten, Kleingartenbesitzer, die ihre türkischen Nachbarn denunzierten, oder Grundschüler, die ihre Lehrer anzeigten, insgesamt etwas über hundert Protokolle.
Der zweite Stapel war schon etwas vielversprechender. Er umfasste an die dreißig Anrufer, die nicht so ohne weiteres aussortiert werden konnten.
Am interessantesten war der dritte Stapel. Hier lagen die protokollierten Aussagen von elf Zeugen. Sie alle meinten, den Unbekannten eindeutig identifiziert zu haben. Und das Besondere war, dass sieben von ihnen auf dieselbe Person hinwiesen: einen gewissen Peter Schmidt, wohnhaft in Essen.
43
Zwei Tage nach seinem Besuch bei FürLeben meldete sich der Geschäftsführer der Agentur telefonisch bei Rainer.
»Herr Esch, es gibt ein kleines Problem. Bei der Bearbeitung des Falles Ihres Mandanten sind einige Fragen aufgetaucht, die…«
Spielchen gemacht, Spielchen verloren. Sie waren ihm auf die Schliche gekommen. Rainer wappnete sich für das Kommende.
»… ein paar Rückfragen bedürfen.«
»Als da wären?«
»Das würden wir sehr gern mit Herrn Deidesheim persönlich erörtern.«
Der Anwalt atmete tief durch. FürLeben ging also immer noch davon aus, dass ein Jörg Deidesheim tatsächlich existierte. »Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich Ihnen doch erläutert, warum mein Mandant nur über mich verhandeln möchte.«
»Das verstehen wir ja. Aber Sie müssen auch unsere Position bedenken. Schließlich ist uns Herr Deidesheim völlig unbekannt. Es geht nur um einige wenige Fragen. Das als Verhandlung zu bezeichnen, wäre etwas übertrieben.«
Eschs Gedanken rasten.
»Ich habe Rücksprache mit meinem Vorgesetzten gehalten.
Wenn wir Herrn Deidesheim nicht persönlich kennen lernen können, kommt es nicht zu einem Vertragsabschluss. Leider, möchte ich hinzufügen.«
»Wie hatten Sie sich dieses Gespräch denn vorgestellt?«
»Wenn Ihr Mandant vielleicht heute Nachmittag in unser Büro kommen könnte, dann…«
»Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Herr Deidesheim ist nicht sehr mobil. Ginge es nicht hier in Herne?«
Für einen Moment war es still in der Leitung. Dann antwortete Schmidt: »Wenn Sie meinen.«
»Wer nimmt denn von Ihrer Seite an dem Gespräch teil?«
»Einer unserer Außendienstmitarbeiter. Vielleicht auch ich.
Aber das steht noch nicht fest, da ich heute noch einen anderen Termin wahrnehmen muss.«
Esch dachte nach. Wenn Schmidt bei dem Treffen nicht dabei wäre, könnte er sich selbst als Deidesheim ausgeben. Deshalb der Vorschlag, sich in Herne zu treffen. Aber was war, wenn Schmidt nun doch teilnahm? Er musste einen Jörg Deidesheim aus dem Hut zaubern. Und das schnell. Cengiz kam aufgrund seines türkischen Aussehens nicht infrage. Rainer brauchte jemanden, der als Deutscher durchging. Einen, der auch bereit war, mitzuspielen. Einen, der ihm noch einen Gefallen schuldete. Einen wie… Kurt. Falls er nüchtern war.
»Gut«, hörte er sich sagen. »Wir treffen uns gegen drei im Kleinen Café in der Mont-Cenis-Straße in Herne-Mitte.«
»Herr Esch, es tut mir Leid, aber…«
»Was denn noch?«
»Wir möchten Herrn Deidesheim allein sprechen.«
»Aber ich bin sein Anwalt. Ohne mich wird er nicht…«
»Dann gibt es keinen Abschluss.«
Schmidt hörte sich nicht so an, als ob mit ihm in dieser Sache noch viel zu diskutieren sei. Trotzdem versuchte es Rainer noch einmal. »Ihr Anliegen ist mehr als ungewöhnlich. Als Anwalt unterliege ich der Schweigepflicht, wie Sie wissen.
Und mein Mandant…«
»… muss sich
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