Zwielicht
Gibtown binden und von unserer gefährlichen Mission abhalten sollte. Joel lief nervös auf und ab, ließ sich auf die Couch fallen, konnte aber keinen Moment still sitzen und durchmaß das Zimmer wieder mit großen Schritten, wobei er unaufhörlich versuchte, uns zur Vernunft zu bringen. Aber wir ließen uns weder von Lauras Wärme noch von Joels Logik beirren, denn wir waren jung und kühn und wollten der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen.
Als sich beim Abendessen das Gespräch schließlich anderen Themen zuwandte und wir glaubten, daß die Tucks sich widerwillig mit unserem Kreuzzug abgefunden hatten, warf Joel plötzlich Messer und Gabel klirrend auf seinen Teller und entfachte die Diskussion von neuem. »Es ist ein verdammtes Selbstmordkommando, nichts anderes! Wenn ihr euch mit der Absicht, ein Nest von Trollen auszuheben, nach Yontsdown begebt, so ist das glatter Selbstmord!« Sein mächtiger Kiefer mahlte, so als hätte er noch einiges auf Lager, doch schließlich wiederholte er nur: »Selbstmord!«
»Und nachdem ihr jetzt einander gefunden habt«, unterstützte Laura ihren Mann, wobei sie zärtlich Ryas Hand tätschelte, »habt ihr doch allen Grund zu leben.«
»Wir werden ja nicht mit Pauken und Trompeten in die Stadt einmarschieren und ihnen den Krieg erklären«, versicherte Rya. »Wir werden sehr vorsichtig sein. Als erstes müssen wir möglichst viel über sie herausfinden, speziell, warum sie dort eine Art Zentrum geschaffen haben.«
»Und wir werden gut bewaffnet sein«, fügte ich hinzu.
»Vergeßt nicht, wir haben einen enormen Vorteil«, fuhr Rya fort. »Wir können sie sehen, aber sie wissen nicht, daß wir sie sehen können. Wir werden sozusagen Phantome sein und einen Guerillakrieg führen.«
»Aber sie kennen dich«, entgegnete Joel.
»Nein.« Rya schüttelte den Kopf. »Sie kannten mein altes Ich, eine Blondine mit etwas anderen Gesichtszügen. Sie halten diese Frau für tot. Und in gewisser Weise ist sie das auch.«
Joel starrte uns frustriert an. Sein drittes Auge war von unbeschreiblichem verschleiertem Orange und schien ihm geheime Visionen apokalyptischer Art zu vermitteln. Das Lid schloß sich. Dann schloß er auch seine beiden normalen Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus, resigniert und traurig. »Warum nur? Verdammt, warum? Warum habt ihr das Bedürfnis, etwas derart Verrücktes zu tun?«
»Ich will Rache für meine Jahre im Waisenhaus, als ich ihnen hilflos ausgeliefert war«, sagte Rya.
»Und Rache für meinen Vetter Kerry«, sagte ich.
»Für Jelly Jordan«, sagte Rya.
Joel öffnete seine Augen nicht. Er faltete seine riesigen Hände auf dem Tisch, und es sah fast so aus, als betete er.
»Und für meinen Vater«, sagte ich. »Einer von ihnen hat meinen Vater ermordet. Und meine Großmutter. Und meiner Tante Paula das Herz gebrochen.«
»Für jene Kinder, die beim Brand der Schule in Yontsdown ums Leben gekommen sind«, fügte Rya leise hinzu.
»Und für all jene, die sterben werden, wenn wir nichts unternehmen«, sagte ich.
»Als eine Art Buße«, sagte Rya. »Für all die Jahre, die ich auf ihrer Seite gearbeitet habe.«
»Wenn wir es nicht tun«, erklärte ich, »werden wir uns nicht besser fühlen als all jene Leute, die von ihren Fensterplätzen aus zuschauten, wie Kitty Genovese zerstückelt wurde.«
Wir hingen ein Weilchen schweigend unseren Gedanken nach.
Die Nachtluft strömte mit leisem Zischen durch die schräggestellten Jalousielamellen ein, so als atmete jemand mit zusammengebissenen Zähnen aus.
Draußen bewegte sich ein stärkerer Wind durch die Nacht, gleichsam eine Kreatur von gewaltigen Ausmaßen, die sich in der Dunkelheit an irgend etwas heranpirschte.
Schließlich murmelte Joel: »Aber, mein Gott, nur ihr beide gegen so viele von ihnen...«
»Es ist besser, wenn wir nur zu zweit sind«, sagte ich. »Zwei Fremde werden nicht weiter auffallen. Vielleicht gelingt es uns herauszufinden, warum sich so viele von ihnen dort zusammengefunden haben. Und falls wir dann beschließen sollten zuzuschlagen, können wir auch das heimlich tun.«
Joels braune Augen in den tiefen Höhlen unter seiner mißgestalteten Stirn öffneten sich; sie waren unglaublich ausdrucksvoll — Verständnis, Kummer, Bedauern und vielleicht auch Mitleid standen darin geschrieben.
Laura legte eine Hand auf Ryas Hand, die andere auf meinen Arm. »Wenn ihr in Schwierigkeiten geraten solltet, mit denen ihr allein nicht fertigwerden könnt, werden wir kommen.«
»Ja«,
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