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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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regelrecht bei lebendigem Leibe auf. Du bist nie so gewesen; du hattest immer Verantwortungsbewußtsein, und du wirst es nie abschütteln können, auch wenn du das heute vielleicht glaubst. Und nachdem in mir jetzt ein Verantwortungsgefühl erwacht ist, werde ich es ebenfalls nicht mehr abschütteln können. Wir sind nicht wie jene Menschen, die tatenlos zuschauten, als Kitty Genovese ermordet wurde. Wir sind nicht so schlimm, Slim! Und wenn wir versuchen, so wie sie zu sein, werden wir uns selbst schließlich verachten; dann werden wir uns gegenseitig für unsere Feigheit verantwortlich machen, und wir werden bitter werden, und schließlich werden wir einander nicht mehr lieben, jedenfalls nicht so, wie wir einander jetzt lieben. Wir können nur miteinander glücklich sein, wenn wir uns engagieren, wenn wir unsere Fähigkeit, die Trolle zu sehen, nutzen, wenn wir uns der Verantwortung stellen.«
    Ich legte meine Hand auf ihr Knie. So warm... es war so warm.
    Schließlich murmelte ich: »Und wenn wir sterben?«
    »Es wäre wenigstens kein nutzloser Tod.«
    »Und wenn nur einer von uns stirbt?«
    »Dann nimmt der andere Rache.«
    »Ein kalter Trost«, kommentierte ich.
    »Aber wir werden nicht sterben«, sagte sie.
    »Du klingst so sicher.«
    »Das bin ich auch.«
    »Ich wünschte, ich könnte auch so sicher sein.«
    »Das kannst du.«
    »Wie?« fragte ich.
    »Glaub!«
    »Ist das alles?«
    »Ja. Glaub einfach an den Sieg des Guten über das Böse.«
    »Das ist so, als wollte man an Tinkerbell glauben.«
    »Nein«, widersprach Rya. »Tinkerbell war ein Fantasiewesen, das nur durch den Glauben existierte. Aber wir sprechen hier über Güte, Erbarmen und Gerechtigkeit — und das sind keine Fantasien. Es gibt sie, ob du nun an sie glaubst oder nicht. Doch wenn du an sie glaubst, wirst du deine Überzeugungen auch in die Tat umsetzen, und indem du handelst, trägst du dazu bei, daß das Böse nicht triumphiert. Aber nur, wenn du handelst.«
    »Reden kannst du jedenfalls«, sagte ich.
    Sie schwieg.
    »Du könntest Kühlschränke an Eskimos verkaufen.«
    Sie schaute mich nur an.
    »Pelzmäntel an Hawaiianer.«
    Sie wartete.
    »Leselampen an Blinde.«
    Sie lächelte nicht.
    »Sogar Gebrauchtwagen«, sagte ich.
    Ihre Augen waren tiefer als das Meer.
    Später, im Wohnwagen, schliefen wir miteinander.
    Im bernsteinfarbenen Licht der Nachttischlampe schien ihr Körper aus honig- und zimtfarbenem Samt zu bestehen, mit Ausnahme jener Stellen, die durch den knappen zweiteiligen Badeanzug von der Sonne geschützt waren.
    Als ich mich schließlich in sie ergoß, schienen die Samenfäden uns zusammenzuschweißen, Körper an Körper und Seele an Seele.
    »Wann werden wir nach Yontsdown aufbrechen?« fragte ich sie etwas später.
    »Morgen?« flüsterte sie.
    »Okay«, sagte ich.
    Draußen war mit der Abenddämmerung ein heißer Westwind aufgekommen, der die Palmen peitschte, den Bambus rasseln ließ und in den australischen Tannen heulte. Der Metallwohnwagen knarrte. Rya machte das Licht aus, und wir lagen hintereinander im Halbdunkel, ihr Rücken an meinem Bauch, und lauschten dem Wind, erfreut über unseren Entschluß und über unseren Mut, stolz auf uns — aber auch voller Furcht.

20 -  Nach Norden
     
    Joel Tuck war dagegen. Gegen unsere edle Einstellung, die er ›hirnlosen Idealismus‹ nannte. Gegen unsere Reise nach Yontsdown. »Eher tollkühn als mutig«, lautete sein Kommentar. Gegen die Eskalation des Krieges, die wir planten. »Zum Scheitern verurteilt«, meinte er.
    Wir aßen an jenem Abend bei Joel und seiner Frau Laura in ihrem großen, fest im Boden verankerten Wohnwagen auf einem der schönsten Grundstücke von Gibtown, wo Bananenpalmen, Farne, Bougainvillea und Jasmin, sorgfältig gestutzte Hecken und gepflegte Blumenbeete in üppiger Pracht gediehen. Dieser Überfluß an Pflanzen ließ einen erwarten, daß das Heim der Tucks im Innern mit irgendwelchen schweren europäischen Stilmöbeln vollgepfropft sein würde. Doch in Wirklichkeit war das Wohnwagen-Haus modern eingerichtet: schlichte Möbel mit klaren Linien; zwei kühne abstrakte Gemälde, einige künstlerisch wertvolle Gegenstände, aber keine Nippes, keine unnützen Staubfänger. Erdtöne dominierten — Beige, Sandweiß und Braun —, mit Türkis als einzigem Farbtupfer.
    Ich vermutete, daß diese betont nüchterne Einrichtung einen bewußten Versuch darstellte, Joels mißgestaltetes Gesicht möglichst wenig auffallen zu lassen. Ein Haus voll herrlich

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