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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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schuld sind. Die jüngeren Generationen haben immer schlechtere Beispiele vor Augen, und auf diese Weise wird jede neue Generation weniger Mitgefühl und Verantwortungsbewußtsein haben als die vorangegangene. Mit jeder Generation wird die Toleranz für Lüge, Mord und Grausamkeit zunehmen. Seit Hitlers Massenmorden sind noch keine zwanzig Jahre vergangen, aber kommt es dir etwa so vor, als erinnerten sich die meisten Menschen überhaupt noch daran, geschweige denn, daß sie erschüttert wären? Stalin hat mindestens dreimal soviel Menschen wie Hitler umgebracht, aber keiner spricht davon. Und jetzt bringt Mao in China Millionen um und läßt weitere Millionen in Arbeitslagern dahinvegetieren. Aber hörst du etwa viele Schreie der Empörung? Und dieser Trend wird sich fortsetzen, bis...«
    »Bis wir etwas gegen die Trolle unternehmen.«
    »Wir?«
    »Ja.«
    »Du und ich?«
    »Ja, du und ich.«
    Ich blieb mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen.
    Bis vor wenigen Minuten hatte ich das Gefühl gehabt, als strömte die Sonne durch mich hindurch in die Erde, als wäre ich völlig durchlässig.
    Diese Vorstellung von Durchlässigkeit verschaffte mir Entspannung, befreite mich von Verantwortung und half mir, die düsteren Realitäten der Rundfunknachrichten zu verdrängen.
    Plötzlich aber, während ich über Ryas Worte nachdachte, fühlte ich mich von den Sonnenstrahlen aufgespießt, kam mir bewegungsunfähig und gefangen vor.
    »Wir können nichts tun«, sagte ich unbehaglich. »Zumindest nichts, was ins Gewicht fallen würde. Wir können versuchen, die Trolle, denen wir begegnen, zu isolieren und zu töten, aber wahrscheinlich gibt es Millionen von ihnen. Ein paar Dutzend oder sogar einige hundert von ihnen umzubringen, wird im Prinzip nichts an der Situation ändern.«
    »Wir können mehr tun, als nur jene töten, denen wir begegnen«, sagte sie. »Wir können etwas anderes tun.«
    Ich schwieg.
    Zweihundert Meter nördlich suchten Möwen den Strand nach eßbaren Dingen ab. Ihre soeben noch schrillen und gierigen Schreie kamen mir plötzlich kalt, traurig und einsam vor.
    »Wir können zu ihnen gehen«, sagte Rya.
    Ich flehte sie innerlich an, nicht weiterzusprechen, ich versuchte, sie durch Telepathie oder was auch immer zum Schweigen zu bringen, aber sie hatte einen viel stärkeren Willen als ich, und mein stilles Flehen wurde nicht erhört.
    »Sie sind in Yontsdown konzentriert«, fuhr sie fort. »Dort haben sie ein Nest, ein gräßliches stinkendes Nest. Und es muß weitere Orte wie Yontsdown geben. Sie führen Krieg gegen uns, und die Initiative liegt ausschließlich bei ihnen. Sie legen die Schlachtfelder und die Strategien fest. Wir könnten das ändern, Slim. Wir könnten sie auf ihrem eigenen Territorium bekämpfen.«
    Ich öffnete die Augen.
    Sie bewegte sich über mich und blickte auf mich herab. Sie war unglaublich schön und sinnlich, aber ich spürte die wilde Entschlossenheit und den eisernen Willen unter dieser verführerisch weiblichen Oberfläche, so als wäre sie eine antike Kriegsgöttin.
    Das leise Rauschen der Wellen hörte sich plötzlich wie ferner Kanonendonner an, und das Wispern der Palmen in der warmen Brise verwandelte sich in eine klagende Totenlitanei.
    »Wir könnten sie auf ihrem eigenen Territorium bekämpfen«, wiederholte sie.
    Ich dachte an meine Mutter und an meine Schwestern, die für mich verloren waren, weil ich mich nicht aus dem Krieg herausgehalten hatte, weil ich Onkel Denton aktiv bekämpft hatte, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken.
    Ich streckte die Hand aus und berührte Ryas glatte Stirn, ihre Schläfe und Wange, ihre Lippen.
    Sie küßte meine Hand.
    Sie schaute mir tief in die Augen.
    »Wir haben einander gefunden«, sagte sie, »und das gibt unserem Leben einen Sinn und schenkt uns Glück. Deshalb ist die Versuchung so groß, jetzt unsere Köpfe im Gefieder zu verstecken wie Tauben und die ganze Welt einfach zu ignorieren. Wir sind versucht, unser gemeinsames Glück zu genießen und auf alle anderen zu pfeifen. Und eine Zeitlang könnten wir vielleicht mit dieser Einstellung glücklich sein. Aber eben nur eine Zeitlang. Früher oder später würden wir uns unserer Feigheit und Selbstsucht schämen und Schuldgefühle bekommen. Ich weiß, wovon ich spreche, Slim. Vergiß nicht, bis vor kurzem habe ich so gelebt: nur an mir selbst interessiert, nur an meinem eigenen Überleben. Und Tag für Tag nagten die Schuldgefühle nicht nur an mir, sondern fraßen mich

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