Zwielicht
offene Fenster schob. Sein Atem stank nach Zigaretten, als er erklärte: »Falls ihr irgendwo mit dem Gesetz in Konflikt geraten solltet und die Bullen wissen wollen, wo ihr alles herhabt, dann hoffe ich, daß ihr euch wie ehrenhafte Schausteller benehmen und mich völlig aus dem Spiel lassen werdet.«
»Selbstverständlich«, sagte Rya scharf. Es war unübersehbar, daß sie Slick Eddy nicht leiden konnte. »Warum beleidigst du uns, indem du so was überhaupt zur Sprache bringst? Sehen wir etwa wie Typen aus, die andere Leute in die Pfanne hauen? Auf uns kann man sich verlassen.«
»Das glaub' ich gern«, meinte Slick Eddy.
»Na, dann ist ja wohl alles klar«, sagte sie verdrossen.
Slick Eddy war aber noch nicht zufriedengestellt. Er schien zu spüren, daß Rya tatsächlich eine Verräterin gewesen war. Und vielleicht rührte ihre barsche Reaktion weniger von ihrer Abneigung her als von dem Schuldbewußtsein, das sie mitunter noch quälte.
»Wenn alles glatt läuft — was auch immer ihr vorhaben mögt — und wenn ihr eines Tages weitere Einkäufe bei mir machen wollt, werdet ihr mir herzlich willkommen sein. Wenn aber irgendwas schiefgeht, will ich euch nie wiedersehen.«
»Wenn irgendwas schiefgeht«, sagte Rya scharf, » wirst du uns nie wiedersehen.«
Er schaute blinzelnd von Rya zu mir, stieß pfeifend den Atem aus und murmelte: »Ja... Ja... Ich vermute fast, daß ich euch wirklich nie wiedersehen werde.«
Er blickte uns nach, während Rya im Rückwärtsgang die Auffahrt hinabfuhr.
»Wie sieht er deiner Meinung nach aus?« fragte sie mich.
»Wie eine Wüstenratte.«
»Nein.«
»Nein?«
»Wie der Tod.«
Ich schaute zu dem allmählich kleiner werdenden Mann zurück.
Er lächelte plötzlich und winkte uns zu, vielleicht weil es ihm leid tat, Rya und mich verärgert zu haben, und weil er einen versöhnlicheren Abschied vorzog. Das war jedoch das Schlimmste, was er hätte tun können, denn sein knochentrockenes und madenbleiches Gesicht war nicht zum Lächeln geschaffen. In diesem totenkopfartigen Grinsen konnte ich weder Freundschaft noch Wärme noch Freude erkennen — nur den Hunger des Grimmen Schnitters.
Dieses makabre Bild war unser letzter Eindruck von Gibtown, was unsere Stimmung nicht gerade hob. Deprimiert fuhren wir in nordöstliche Richtung, und nicht einmal die Musik der Beach Boys, der Beatles, der Dixie Cups und der Four Seasons vermochte uns diesmal aufzuheitern. Der wolkenverhangene Himmel lastete wie ein Schieferdach auf der Welt und drohte über uns einzustürzen. Manchmal peitschte silbrig schimmernder Regen die Luft und das Straßenpflaster. Wenn es nicht regnete, hüllte feiner aschfarbener Dunst die Zypressen und Pinien ein, wodurch das sonnige Florida in eine trostlose britische Moorlandschaft verwandelt schien. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde der Nebel dichter. Wir redeten nur wenig, so als hätten wir Angst, etwas zu sagen, was uns noch mehr deprimieren würde.
Wir aßen in einer tristen Raststätte, in einer Nische vor den mit Fliegendreck beschmutzten, regennassen Fenstern. Auf der Speisekarte gab es nur aufgetaute und in viel Fett gebratene Tiefkühlkost.
Einer der Lastwagenfahrer, die auf Hockern an der Theke saßen, war ein Troll. Mit meinen Zwielicht-Augen nahm ich wahr, daß er auf Seitenstraßen mit seinem riesigen Fahrzeug schon oft Pkws gerammt und in Kanäle oder Sümpfe gestoßen hatte, wo die Insassen elendig ums Leben gekommen waren. Ich spürte auch, daß er sich in Zukunft viele weitere unschuldige Opfer suchen würde, die nächsten vielleicht schon in der kommenden Nacht. Aber ich hatte nicht das Gefühl, daß er für Rya und mich eine Gefahr darstellte; und obwohl ich ihm am liebsten mit meinem Messer die Kehle aufgeschlitzt hätte, beherrschte ich mich in Anbetracht der vor uns liegenden wichtigen Mission.
Irgendwo in Georgia verbrachten wir die Nacht in einem Motel an der Autobahn, nicht etwa, weil es einladend ausgesehen hätte, sondern weil uns die Müdigkeit plötzlich in einer trostlosen, abgelegenen Gegend überwältigt hatte. Die Matratze war klumpig, die Sprungfedern waren ausgeleiert. Sobald wir das Licht ausgeschaltet hatten, hörten wir große Kakerlaken über den rissigen Linoleumboden huschen. Wir waren aber viel zu müde — und hatten zuviel Angst vor der Zukunft—, um uns etwas daraus zu machen. Nach einem süßen Gutenachtkuß schliefen wir sofort ein.
Wieder träumte ich von einem langen dunklen Tunnel, der nur in großen
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