Zwielicht
zugesagt hatte, fühlte ich mich nun als rechtmäßiger Mieter irgendwie unbehaglich. Dieses Haus schien sich unserer Gegenwart bewußt zu sein; eine feindselige Intelligenz schien in den Wänden zu wohnen, mit Lampen als allgegenwärtigen Augen, und sie schien uns willkommen zu heißen, aber nicht mit freundlichen Absichten, sondern mit einem schrecklichen Hunger.
Wir fuhren in die Innenstadt, um mit unseren Nachforschungen zu beginnen.
Die Bibliothek war ein imposantes neugotisches Gebäude neben dem Gericht. Die Granitmauern waren mit Schmutz überzogen. Ein mit Zinnen versehenes Dach, schmale vergitterte Fenster und eine massive Holztür vermittelten den Eindruck einer Stahlkammer, in der etwas aufbewahrt wurde, das einen viel höheren materiellen Wert als Bücher hatte.
Im Innern gab es einfache stabile Eichentische und -stühle, wo Besucher lesen konnten, wenn sie keine großen Ansprüche an Bequemlichkeit stellten. Hinter den Tischen war das Büchermagazin: zweieinhalb Meter hohe Eichenregale, dazwischen lange schmale Gänge mit blauen kegelförmigen Deckenlampen.
Rya und ich gingen diese von Büchern gesäumten Korridore entlang. Es roch nach vergilbtem Papier und staubigen Stoffeinbänden. Ich hatte das Gefühl, als könnte man Dickens' London oder Burtons arabische Welt hier einfach einatmen, ohne die Bücher lesen zu müssen, so als wären sie eine besondere Pilzart, deren Pollen beim Inhalieren Geist und Fantasie düngten. Am liebsten hätte ich irgendeinen Band zur Hand genommen und mich in seine Seiten geflüchtet, denn selbst die grausigen Welten von Lovecraft, Poe oder Bram Stoker wären angenehmer gewesen als die Realität, mit der wir uns beschäftigen mußten.
Wir waren hergekommen, um den Yontsdown Register zu saldieren, der in der Zeitschriftenabteilung im Hintergrund des riesigen Raumes archiviert war. Relativ neue Exemplare der Zeitung lagen — nach Erscheinungsdaten geordnet — in großen Schubfächern, während ältere Ausgaben auf Mikrofilmrollen zugänglich waren. Wir verbrachten einige Stunden damit, uns über die Ereignisse der vergangenen sieben Monate zu informieren, und wir erfuhren eine ganze Menge.
Die enthaupteten Leichen von Polizeichef Kelsko und seinem Assistenten waren in dem Streifenwagen aufgefunden worden, in der Sackgasse, wo Joel Tuck das Fahrzeug in jener Nacht der Gewalt abgestellt hatte. Ich hatte damit gerechnet, daß die Polizei die Morde einem durchreisenden Psychopathen zuschreiben würde, und das war tatsächlich der Fall gewesen. Doch zu meinem Entsetzen las ich, daß ein Mann verhaftet worden war: ein junger Vagabund namens Walter Dembrow, der angeblich in seiner Gefängniszelle Selbstmord begangen hatte, zwei Tage nach seinem Geständnis und einer Anklage wegen zweifachen Mordes. Er hatte sich erhängt. Mit einem Strick aus seinem in Streifen gerissenen Hemd.
Ich bekam unerträgliche Gewissensbisse.
Rya und ich schauten gleichzeitig vom Bildschirm des Mikrofilm-Lesegeräts auf. Unsere Blicke trafen sich.
Einen Moment lang brachten wir kein Wort hervor. Dann flüsterte Rya: »Mein Gott!« — obwohl niemand in der Nähe war, der uns hätte belauschen können.
Mir war übel. Ich war froh, daß ich saß, denn mir war plötzlich ganz schwach zumute. »Er hat sich nicht erhängt«, murmelte ich.
»Nein. Diese Mühe haben sie ihm abgenommen.«
»Nach grausamen Folterungen.«
Sie biß sich stumm auf die Lippe.
Drüben im Büchermagazin waren gedämpfte Stimmen und leise Schritte zu hören.
Ich erschauderte. »In gewisser Weise habe ich Dembrow umgebracht. Er ist stellvertretend für mich gestorben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Doch. Ich habe Kelsko und seinen Assistenten ermordet und den Trollen dadurch einen Vorwand geliefert, Dembrow unter Anklage zu stellen.«
»Er war ein Vagabund, Slim«, fiel sie mir scharf ins Wort, während sie meine Hand nahm. »Glaubst du, daß viele Vagabunden, die sich in diese Stadt verirren, sie lebendig verlassen? Die Trolle dürstet es nach unserem Schmerz, unserem Leiden. Sie sind immer auf der Suche nach Opfern. Und die geeignetsten Opfer sind Vagabunden, Landstreicher, Beatniks auf der Suche nach ihrer wahren Identität. Die Trolle brauchen sich so jemanden nur auf der Straße zu schnappen und können ihn dann nach Herzenslust schlagen, quälen und schließlich ermorden. Dann verscharren sie die Leiche irgendwo, und niemand wird je erfahren, was ihm zugestoßen ist — niemand wird überhaupt Fragen
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