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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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vorherbestimmt, auf diesem Rummelplatz etwas Bedeutsames zu erleben. Das Schicksal war mein Führer gewesen, und erst wenn ich die mir zugeteilte Rolle gespielt hatte, würde das Schicksal mich freigeben und mir erlauben, meine Zukunft selbst zu gestalten.

4 -  Träume von Trollen
     
    Auf den meisten größeren Jahrmärkten gibt es außer Viehausstellungen und Rummelplätzen auch Pferderennen, und deshalb sind unter den Tribünen fast überall Duschräume und Garderoben für die Jockeys und Sulkyfahrer eingebaut. Dieses Gelände bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Die Tür war verschlossen, aber das konnte mich nicht aufhalten. Ich war kein unbedarfter Junge vom Lande mehr, so sehr ich mir auch wünschen mochte, meine verlorene Unschuld zurückzuerlangen. Stattdessen war ich ein junger Mann, der auf der Wanderschaft gewisse Erfahrungen gesammelt hatte. Ich trug immer einen dünnen, steifen Plastikstreifen bei mir, und damit knackte ich das primitive Schloß in weniger als einer Minute. Ich trat ein, schaltete die Beleuchtung an und verschloß die Tür von innen.
    Auf der linken Seite waren einige Toilettenkabinen aus grünem Metall, auf der rechten Seite schäbige Waschbecken und gelb verfärbte Wandspiegel, dahinter die Duschen. In der Mitte des großen Raumes standen in einer langen Doppelreihe — Rückwand an Rückwand — zerkratzte und verbeulte Schränke; davor gab es zerschrammte Bänke. Nackter Zementboden. Betonwände. Leuchtstoffröhren an der Decke. Schwacher Gestank nach Schweiß, Urin, Salben und Schimmelpilzen wurde von einem durchdringenden Desinfektionsmittel mit Tannenduft überlagert. Diese Geruchsmischung war nicht gerade nach meinem Geschmack, aber immerhin war sie nicht direkt übelkeiterregend — nur fast. Kein eleganter Ort, zugegeben. Ein Ort, wo man mit größter Wahrscheinlichkeit keinen der Kennedys treffen würde, auch nicht Cary Grant. Aber da der Raum fensterlos war, konnte ich hier unbesorgt Licht machen, und außerdem war es viel kühler — wenngleich nicht minder feucht — als draußen auf dem staubigen Gelände.
    Zuallererst spülte ich mir gründlich den Mund, um endlich den metallischen Blutgeschmack loszuwerden, und putzte die Zähne. Meine Augen starrten mich aus dem trüben Spiegel so wild und verstört an, daß ich rasch wegschaute.
    Mein T-Shirt war zerrissen und blutbefleckt. Auch die Jeans hatten Blutflecken. Nachdem ich geduscht und den Trollgestank aus meinen Haaren gewaschen hatte, trocknete ich mich mit Papierhandtüchern ab und zog ein frisches T-Shirt und saubere Jeans an. In einem der Waschbecken wusch ich, so gut es ging, die blutigen Klamotten aus und versteckte sie sodann in einem fast vollen Abfalleimer neben der Tür. Ich durfte es nicht riskieren, daß in meinem Rucksack Kleidungsstücke mit Blutspuren gefunden wurden. Meine gesamte Garderobe bestand jetzt nur noch aus den Jeans und dem T-Shirt, die ich trug, einem weiteren T-Shirt, drei Slips, Socken und einer dünnen Kordjacke.
    Man reist mit leichtem Gepäck, wenn man wegen Mordes gesucht wird. Die einzigen schweren Dinge, die man mit sich führt, sind Erinnerungen, Ängste und Einsamkeit.
    Es schien mir am sichersten, die restlichen Nachtstunden in diesem Umkleideraum unter der Tribüne zu verbringen. Ich breitete meinen Schlafsack dicht vor der Tür aus und legte mich hin. Sobald sich jemand am Schloß zu schaffen machte, würde ich es hören, und mein Körper bildete einen stabilen Türstopper.
    Ich ließ die Beleuchtung an.
    Ich hatte keine Angst vor der Dunkelheit; ich zog es einfach vor, ihr nicht ausgesetzt zu sein.
    Ich schloß die Augen und dachte an Oregon...
    Ich hatte Heimweh nach der Farm, nach den grünen Wiesen, wo ich als Kind gespielt hatte, im Schatten der mächtigen Siskiyou-Gebirgskette, mit der es meiner Meinung nach kein Gebirge im Osten des Landes an imposanter Schönheit aufnehmen konnte. In meiner Erinnerung sah ich die bewaldeten Berghänge — riesige Wälder mit gewaltigen Rottannen, mit Zypressenfichten, Kiefern, Weißtannen, deren aromatischer Duft nur noch von den Zedern übertroffen wurde, mit Hartriegel, der zwar nicht duftete, aber dafür besonders glänzende Blätter hatte, mit großblättrigem Ahorn und dunkelgrünen Eichen. Beim Gedanken an diese atemberaubende Szenerie schnürte sich mir das Herz zusammen.
    Mein Vetter Kerry Harkenfield, Onkel Dentons Stiefsohn, starb inmitten dieser Schönheit einen besonders schrecklichen Tod. Er wurde ermordet. Er war

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