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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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und band es in Augenhöhe an einen Baum.
    »Damit ihr allein zurückfindet«, erklärte er und führte uns auf einem Wildpfad bergabwärts, wobei er alle dreißig bis vierzig Meter stehenblieb und Bäume mit roten Bändern schmückte. Ich bemerkte, daß man von der jeweils letzten Markierung aus die vorletzte gut sehen konnte.
    Nach einer Weile stießen wir auf einen Weg und gingen ihn entlang. Wir hatten einen vierzigminütigen Fußmarsch hinter uns, als wir am Fuße einer breiten Schlucht zu einer weiten freien Fläche gelangten.
    Die Felswand sah pockennarbig aus, weil große Stücke aus der Oberfläche herausgeschlagen waren. Ein horizontaler Stollen hatte einst das Herz des Berges durchbohrt. Der Eingang war zur Hälfte bei einem Erdrutsch verschüttet worden, was aber lange zurückliegen mußte, denn inzwischen wuchsen dort schon Bäume.
    Horton ging zwischen diesen verkrüppelten und knorrigen Bäumen hindurch und betrat den Schacht. Wir folgten ihm. Er holte drei sehr starke Taschenlampen aus seinem Sack, behielt eine davon und überreichte die anderen Rya und mir. Dann leuchtete er Decke, Wände und Boden des Tunnels ab, in dem wir standen.
    Die Decke war nur 30 cm von meinem Kopf entfernt, und die unebenen Felswände — im vorigen Jahrhundert durch Pickel, Meißel, Schaufeln, Sprengstoff und Meere von Schweiß entstanden — schienen immer näher zu rücken, so als wollten sie uns zerquetschen. Sie waren mit Kohleadern durchzogen, und stellenweise glänzte etwas milchig-hell — vielleicht Quartz. Die massiven, geteerten Stützbalken an beiden Wänden und an der Decke erinnerten mich an das Skelett eines Wales.
    Allerdings befanden sie sich in einem erbärmlichen Zustand, hingen durch, hatten tiefe Risse, waren im Innern sehr wahrscheinlich durch Fäulnis halb hohl und stellenweise mit Pilzen bewachsen. Auch fehlten vielfach die Metallstreben. Ich hatte das unangenehme Gefühl, daß die Decke sofort einbrechen würde, wenn ich mich nur irgendwo anlehnte.
    »Dies hier dürfte eine der ersten Minen in der ganzen Gegend gewesen sein«, berichtete Horton. »Sie wurde zum größten Teil von Hand ausgebeutet, und die Loren wurden damals von Eseln gezogen. Die Gleise wurden später herausgerissen und in einen anderen Schacht gebracht, aber hier und dort stolpert man noch über die Reste von Schwellen, die teilweise in den Boden eingesunken sind.«
    Rya betrachtete die morschen Balken sehr skeptisch. »Ist dieser Tunnel sicher?«
    »Was ist schon sicher?« fragte Horton, musterte abschätzend das verwitterte Holz und die feuchten Felswände und meinte dann: »Schlimmer kommt es jedenfalls nicht, denn euer Weg führt ja von älteren zu neueren Minen, obwohl ich euch dringend rate, auch dort vorsichtig zu sein und euch nirgends an Balken anzulehnen. Sogar die verhältnismäßig neuen Schächte — jene, die erst zehn oder zwanzig Jahre alt sind — können es in sich haben. Eine Mine ist schließlich nichts anderes als eine Leere, und man sagt nicht umsonst, daß die Natur bestrebt ist, eine Leere auszufüllen.«
    Er holte zwei Metallhelme aus seinem Sack und gab sie uns mit der eindringlichen Ermahnung, sie ständig aufzubehalten.
    »Und Sie?« fragte ich, während ich meinen Helm aufsetzte.
    »Ich hatte nur zwei zur Hand«, sagte er. »Und da ich euch nur ein kurzes Stück begleite, komme ich auch ohne einen aus. Also, auf geht's.«
    Wir folgten ihm tiefer in die Erde hinein.
    Auf den ersten Metern klebten an den Wänden jede Menge Blätter, die an trockenen Herbsttagen hereingewehrt worden waren. Die Feuchtigkeit im Schacht hatte sie allmählich zu einer festen Masse verkleistert. In unmittelbarer Nähe des Eingangs waren diese vermoderten Blätter und die Pilze auf den Balken gefroren und deshalb geruchlos. Doch weiter drinnen herrschten Temperaturen über dem Nullpunkt, und uns stiegen hin und wieder üble Gerüche in die Nasen.
    Horton führte uns um eine Ecke herum, in einen wesentlich geräumigeren Tunnel, wo sich offenbar einmal eine reiche Kohlenader befunden hatte. Er blieb stehen, holte eine Spraydose mit weißer Farbe aus seinem Sack, schüttelte sie und sprühte einen weißen Pfeil, der in Richtung Ausgang wies, auf die Felswand, obwohl wir uns hier eigentlich noch nicht verirren konnten.
    Er war eben ein vorsichtiger Mann.
    Innerhalb der nächsten hundert Meter machte er zwei weitere Pfeile, dann bogen wir in einen kürzeren, aber noch breiteren Tunnel ab (vierter Pfeil) und legten weitere fünfzig

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