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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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oben wölbte sich ein unfreundlicher Himmel über die Welt; Amseln segelten durch ein Meer von Luft, und irgendwo rauschten Bäume im Wind, Schneeflocken breiteten eine weiße Decke über die Erde — aber all diese Farben und Bewegungen waren durch so viele Meter Felsgestein von mir entfernt, daß ich immer stärker den Eindruck hatte, jene Welt dort oben wäre nicht real, sondern existierte nur in meiner Fantasie — ein imaginäres Königreich. Das einzige, was mir noch real zu sein schien, waren Stein, Staub, flache Wasserpfützen, morsche Balken mit verrosteten Eisenträgern, Kohle und Dunkelheit.
    Wir wirbelten Kohlenstaub auf, der so fein wie Talkumpuder war. Kleine Klümpchen, hin und wieder auch größere Brocken Kohle, lagen entlang der Wände, kleine Inseln aus Kohle bildeten Archipele in den Pfützen, und in den Wänden funkelten kleine Überreste erschöpfter Kohlenadern im frostig-weißen Licht der Taschenlampen wie schwarzes Gold.
    Manche der unterirdischen Wege waren fast so breit wie Autobahnen, andere schmaler als Hausflure, denn neben den eigentlichen Minenschächten gab es auch Erkundungstunnels. Manchmal waren die Decken mehrere Meter von unseren Köpfen entfernt, dann wieder waren sie so niedrig, daß wir uns ducken mußten. Stellenweise waren die Wände so präzise behauen worden, daß sie direkt aus Beton hätten sein können, stellenweise waren sie aber sehr uneben. Wir sahen auch mehrere teilweise eingebrochene Wände oder Decken und waren einige Male gezwungen, uns mühsam durch den schmalen verbliebenen Raum hindurchzuzwängen.
    Ich mußte gegen eine Klaustrophobie ankämpfen, die sich immer stärker bemerkbar machte, je tiefer wir ins Minenlabyrinth vordrangen. Es gelang mir jedoch, diese Ängste nicht Überhand nehmen zu lassen, indem ich an jene schöne, abwechslungsreiche Welt dort oben dachte — und mir ständig vorsagte, daß Rya ja bei mir war. Ihre Gegenwart verlieh mir wie immer Kraft und Mut.
    Wir sahen seltsame Dinge im Schoß der Erde. Dreimal stießen wir auf Haufen kaputten Zubehörs — Werkzeuge und andere offenbar beim Bergbau benötigten Gegenstände, die für uns ein Buch mit sieben Siegern waren. Von Rost und Korrosion zusammengeschweißt, wirkten sie fast wie moderne Plastiken, so als hätte sich der von Menschen mißhandelte Berg als Künstler betätigt, um seiner eigenen Leidensfähigkeit ein Denkmal zu setzen. Eine dieser Skulpturen sah wie eine große Figur aus, halb menschlich, halb dämonisch; absurderweise rechnete ich fast damit, daß diese mit Streben und Widerhaken geschmückte Kreatur sich mit einem Klirren und Rasseln ihrer Metallknochen bewegen würde, daß sie ihr Glasauge — eine zersplitterte Öllampe, wie Bergleute sie im vergangenen Jahrhundert verwendeten — öffnen und mich anstarren würde, daß sie ihren Eisenmund zu einem Grinsen verziehen und dabei verfaulte Zähne aus verbogenen Schrauben und Nägeln entblößen würde. Wir sahen auch Schimmel und Pilze in verschiedensten Farben — gelb, gallengrün, giftig rot, braun, schwarz —, hauptsächlich aber in schmutzigen Weißtönen. Manche waren so trocken, daß sie bei der geringsten Berührung zu Staub zerfielen. Andere waren feucht und glänzten abstoßend wie die Eingeweide irgendeiner fremdartigen außerirdischen Lebensform. Manche Wände waren mit Kristallen irgendwelcher aus dem Felsen gesickerter Substanzen überzogen, und einmal sahen wir unsere verzerrten Gesichter, die über diese Millionen dunkler Facetten huschten.
    Etwa auf halbem Wege in den Hades stießen wir auf das schimmernde weiße Skelett eines großen Hundes. Der Schädel lag mit klaffendem Kiefer in einer Lache schwarzen Wassers, in der sich die Strahlen unserer Taschenlampen widerspiegelten, so daß die leeren Augenhöhlen gespenstisch leuchteten. Wie ein Hund in diese Tiefe geraten war, was er hier gesucht hatte und wie er gestorben war — das waren unlösbare Rätsel. Aber das Vorhandensein dieses Skeletts hatte etwas so gänzlich Deplaziertes an sich, daß wir darin unwillkürlich eine Art Omen sahen, obwohl wir lieber nicht darüber nachdenken wollten, was es bedeuten könnte.
    Mittags — fast sechs Stunden, nachdem wir das Labyrinth mit Horton Bluett betreten hatten — legten wir eine kurze Pause ein, teilten uns eines der Sandwiches und tranken etwas Orangensaft. Wir nahmen dieses karge Mahl schweigend ein, denn inzwischen waren wir so dicht an den neuesten Schächten, daß irgendwelche Trolle uns

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