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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Landstraßen in schmale Gebirgstäler empor, wo von der Dämmerung noch keine Spur zu sehen war.
    »Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht«, erzählte Horton während der Fahrt. »Meine Eltern hatten hier auf diesen Hügeln ein Häuschen, und hier erblickte ich mit Hilfe einer Hebamme das Licht der Welt. Das war 1890. Für euch junges Gemüse ist das natürlich so unvorstellbar lang her, daß ihr euch vielleicht fragt, ob es damals noch Dinosaurier gegeben hat. Na, jedenfalls bin ich hier aufgewachsen, und ich kenne diese Hügel, Felder, Wälder, Grate und Schluchten so gut wie meine Westentasche. Hier wurde seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts Kohle abgebaut, und es gibt jede Menge stillgelegter Schächte. Zwischen den Minen gibt es oft Verbindungen, und auf diese Weise ist so etwas wie ein unterirdisches Labyrinth entstanden. Als Junge war ich ein begeisterter Höhlenforscher. Ich liebte Höhlen und alte Stollen und war gänzlich unerschrocken. Vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil meine Nase mich schon gelehrt hatte, daß es viele böse Menschen — Trolle — gab, weil ich schon wußte, daß ich draußen in der Welt vorsichtig sein mußte und sich daran mein Leben lang nichts ändern würde. Ich war deshalb gezwungen, die normale Abenteuerlust eines Jungen irgendwie auf eigene Faust zu befriedigen, weil ich mich nur auf mich selbst verlassen wollte. Natürlich ist es ausgesprochen dumm, allein loszuziehen, um Höhlen zu erforschen. Dabei kann zuviel schiefgehen. Ein vernünftiger Bursche unternimmt so was nur zusammen mit guten Freunden. Aber als Kind fehlte es mir total an gesundem Menschenverstand, und deshalb trieb ich mich ständig unter der Erde herum. Ich war eine regelrechte Minenratte. Jetzt könnt ihr von meiner damaligen Torheit profitieren. Ich weiß, wie ihr in das Berginnere gelangen könnt. Es gibt einen Weg durch die uralten Minen aus den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, die mit Minen aus dem Anfang dieses Jahrhunderts verbunden sind, und diese führen wiederum in neuere Minen, bis hin zu einigen schmaleren Seitentunnels aus neuester Zeit. Die Sache ist natürlich verdammt gefährlich. Ein tollkühnes Unternehmen, das ich keinem vernünftigen Menschen empfehlen würde. Aber ihr zwei seid ja verrückt. Ihr dürstet nach Rache und Gerechtigkeit, ihr seid ganz versessen darauf, etwas zu tun.«
    Horton bog von der Landstraße auf einen vom Schnee geräumten Feldweg ab, wenig später auf einen anderen, der gerade noch passierbar war, und schließlich fuhren wir querfeldein einen Hügel hinauf, der sogar mit Vierradantrieb nicht zu bewältigen gewesen wäre, wenn der Wind nicht entgegenkommenderweise den größten Teil des Schnees weggefegt und am Waldrand aufgetürmt hätte.
    Oben auf dem Hügel, dicht bei den Bäumen, hielt Horton an. »Von hier aus müssen wir zu Fuß gehen.«
    Ich nahm den schwereren Rucksack, Rya den anderen, der auch nicht gerade leicht war. Jeder von uns hatte einen geladenen Revolver und eine Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer bei sich; die Revolver befanden sich in Schulterhalftern unter unseren Skijacken, die Pistolen waren in den tiefen, offenen Taschen der weißen Skihosen verstaut. Ich trug außerdem die Schrotflinte, Rya die Maschinenpistole.
    Obwohl wir wirklich gut bewaffnet waren, fühlte ich mich wie David, der mit einer jämmerlichen kleinen Schleuder in der Hand nervös im Schatten des riesigen Goliaths steht.
    Die Nacht hatte sich nun doch ergeben, und der Morgen brachte den Mut auf, sich zu zeigen. Trotzdem trieben sich überall noch tiefe Schatten herum, und der Himmel war bei Tag nicht viel heller als bei Nacht. Es war ein Sonntag.
    Mir fiel plötzlich ein, daß ich Joel Tuck noch nicht angerufen hatte, um ihn zu informieren, daß Cathy Osborn, Ex-Professorin für Literatur an der Barnard-Universität, möglicherweise schon am Dienstag oder Mittwoch an seine Tür klopfen würde und dringend seiner Hilfe und Freundschaft bedurfte. Ich ärgerte mich über meine Vergeßlichkeit, sagte mir dann aber, daß ich noch viel Zeit für diesen Anruf hatte — falls uns in den Minen nichts zustoßen würde.
    Horton Bluett holte einen Stoffsack aus seinem Wagen und zog ihn hinter sich her, während er durch die Schneeverwehungen am Waldrand stapfte. Etwas klapperte leise in dem Sack. Hinter den ersten Bäumen blieb er stehen, schob einen Arm in den Sack und brachte eine rote Bandrolle zum Vorschein. Mit einem scharfen Taschenmesser schnitt er ein Stück davon ab

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