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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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denen Sie Ihren göttlichen Zorn abreagieren konnten? Falsch. Weit gefehlt. Sie sind offenbar in einer wahrhaft kosmischen Rage, Sie schäumen derart vor Wut, daß das ganze Universum bebt, und in dieser Stimmung meißeln Sie eine Stirn von der Dicke einer Panzerplatte, die über die Augen hinausragt wie ein Dachvorsprung, so daß diese in tiefen, finsteren Höhlen zu liegen scheinen. Und in Ihrem bösartigen Schöpfungsfieber schlagen Sie in diese Stirn ein Loch, über dem rechten Auge, aber etwas mehr zur Schläfe hin, und setzen ein drittes Auge ohne Iris und Pupille ein, ein Oval aus homogenem rötlichgelbem Gewebe. Und zuletzt beweisen Sie Ihre böswillige Genialität durch zwei Glanzstücke: Sie meißeln in diese abscheuliche Fratze eine edle, perfekt geformte Nase, um Ihrer Schöpfung eine kleine Vorstellung davon zu geben, was möglich gewesen wäre; und Sie legen in die beiden tiefen Höhlen klare braune Augäpfel, warme, intelligente, schöne Augen, normale Augen, außergewöhnlich ausdrucksvoll, so daß jeder, der sie sieht, hastig wegschauen oder aber weinen muß, aus Mitleid mit der empfindsamen Seele, die in dieser abstoßenden Hülle gefangen ist. Hören Sie noch zu? Höchstwahrscheinlich wollen Sie nicht mehr Gott spielen. Was kommt manchmal nur über Ihn? Fragen Sie sich das nicht auch? Wenn Er aus einer bloßen schlechten Laune oder Wut heraus ein solches Geschöpf erschaffen kann — dann versuchen Sie sich doch einmal vorzustellen, in welchem Zustand Er gewesen sein muß, als Er ernstlich verstört war, als Er die Hölle erschuf und die rebellischen Engel dort hineinstieß.
    Dieser üble Streich Gottes sprach wieder, und seine Stimme war weich und freundlich: »Entschuldigung. Hast du etwas gesagt? Ich war leider in Gedanken.«
    »Äh... äh... ich sagte nur, es sei ein schöner Morgen.«
    »Ja, da hast du recht. Du bist neu hier, nicht wahr?«
    »Äh... ja... ich bin Carl... Slim.«
    »Carl Slim?«
    »Nein... äh... Slim MacKenzie«, stammelte ich, den Kopf tief in den Nacken geworfen, weil er mich beträchtlich überragte.
    »Joel Tuck«, stellte er sich seinerseits vor.
    Ich konnte es noch immer nicht fassen, daß seine Stimme ein so schönes weiches Timbre hatte. Bei seinem Aussehen hätte ich eher eine durch Mark und Bein gehende Stimme von kalter Feindseligkeit erwartet.
    Er streckte mir seine Hand hin. Ich schüttelte sie. Es war eine ganz normale Hand, allerdings eine Riesenpranke.
    »Ich bin der Inhaber der Abnormitätenschau«, sagte er.
    »Ah«, murmelte ich und gab mir alle Mühe, nicht auf sein blickloses drittes Auge zu starren. Es gelang mir nicht.
    In einer Abnormitätenschau sind meistens mindestens zehn ›Menschenwunder‹ unter einem Zeltdach versammelt — mißgestaltete Personen aller Art.
    »Ich bin nicht nur der Inhaber«, fuhr Joel Tuck fort, »sondern auch die Hauptattraktion.«
    »Zweifellos«, entfuhr es mir.
    Er lachte, und ich bekam vor Verlegenheit einen hochroten Kopf und wollte eine Entschuldigung stammeln, aber er fiel mir ins Wort, legte mir eine Hand auf die Schulter und versicherte grinsend, daß er durchaus nicht beleidigt sei.
    »Im Gegenteil«, sagte er und wurde plötzlich überraschend gesprächig. »Es ist direkt erfrischend, einen Schausteller zu treffen, der bei der ersten Begegnung seinen Schock zeigt. Weißt du, die meisten Besucher, die für die Abnormitätenschau Geld ausgeben, deuten entsetzt auf mich und machen ungeniert ihre dummen Bemerkungen. Nur sehr wenige besitzen den Anstand oder die Intelligenz, die Ausstellung ein klein wenig geläutert zu verlassen, dankbar zu sein, daß sie selbst Glück gehabt haben. Rohes, hirnloses Volk... na, du weißt ja selbst, wie Besucher sind. Aber Schausteller... manchmal können sie auf ihre Weise genauso schlimm sein.«
    Ich nickte, so als wüßte ich, wovon er sprach. Ich hatte es endlich geschafft, meinen Blick von seinem dritten Auge abzuwenden, doch dafür starrte ich jetzt auf seinen greiferartigen Mund. Er klappte auf und zu, und die knotigen Kinnladen knirschten und knarrten, und mir fiel plötzlich Disneyland ein. Ein Jahr vor seinem Tod hatte mein Vater mit uns einen Ausflug nach Kalifornien gemacht, nach Disneyland, das damals neu war. Zu den Attraktionen jener Anfangszeit gehörten die sogenannten ›audio-animatronischen Roboter‹ mit lebensechten Gesichtern und Bewegungen. Sie waren durchaus überzeugend, bis auf die Münder, denen die geschmeidigen, fließenden Bewegungen richtiger Münder

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