Zwielicht
ein Clown müßte 'ne rote Nase haben, und weil ich Giselle verdammt gern habe, hab' ich die Nase eben rot angepinselt. Aber jetzt glaub' ich, daß das 'n Riesenfehler war, denn früher hat sie Charakter gehabt, weißt du, und jetzt ist es so 'ne Allerwelts-Clownsnase, von denen's jede Menge gibt, und wozu soll das gut sein?« Er legte auf eine Antwort offenbar keinen Wert, denn er sprang von der Plattform herunter und entfernte sich brummelnd.
Ich schlenderte weiter. Beim Kettenkarussell war ein drahtiger kleiner Mann damit beschäftigt, den Generator zu reparieren. Sein Haar hatte jenen orangefarbenen Ton, der weder kastanienbraun noch rot ist, aber von allen als rot bezeichnet wird, und sein Gesicht war mit leuchtenden Sommersprossen dermaßen übersät, daß es fast unnatürlich wirkte, so als hätte jemand sie ihm auf Wangen und Nase getupft. Ich stellte mich ihm als Slim MacKenzie vor, aber er sagte mir nicht, wie er hieß. Ich spürte sein Mißtrauen, jene Schaustellern eigene Zurückhaltung und Verschlossenheit gegenüber der Außenwelt, und deshalb erzählte ich ein Weilchen von den kleinen Jahrmärkten, auf denen ich drüben im Mittelwesten, in Ohio, gearbeitet hatte. Er blieb zunächst stumm, doch schließlich schien er mich als Insider zu akzeptieren, denn er wischte seine schmutzigen Hände an einem Lappen ab, stellte sich als Rudy Morton vor, der aber von allen nur ›Roter‹ genannt würde, nickte mir freundlich zu und fragte: »Suchst du Arbeit?« Ich bejahte, und er meinte: »Da mußt du dich an Jelly Jordan wenden. Der ist hier Personalchef und überhaupt die rechte Hand von Arturo Sombra. Du findest ihn wahrscheinlich drüben in der Verwaltung.« Er erklärte mir den Weg dorthin, und ich bedankte mich und spürte, daß er mir lange nachschaute, obwohl ich mich kein einziges Mal umdrehte.
Ich ging quer über den sonnigen Rummelplatz, und der nächste Schausteller, den ich traf, war ein riesiger Mann, der mir mit gesenktem Kopf und gebeugten Schultern entgegenkam — eine deprimierte Haltung, die an diesem herrlichen Tag deplaziert wirkte. Er hatte die Hände in den Hosentaschen, mußte knapp 1,95 m groß und 270 Pfund schwer sein — eine imposante, muskelstrotzende Gestalt. Zwischen den herkulischen Schultern hing der Kopf so tief herab, daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte, und ich wußte, daß er mich noch nicht bemerkt hatte, denn er war so tief in Gedanken versunken, daß er weder Stromkabel noch Abfälle unter seinen Füßen registrierte. Um ihn nicht zu erschrecken, wenn ich plötzlich dicht vor ihm auftauchte, rief ich, als ich noch ein Stückchen entfernt war: »Schöner Morgen, nicht wahr?« Er machte zwei weitere Schritte, bevor ihm aufging, daß mein Gruß ihm gegolten hatte. Dann schaute er auf. Der Abstand zwischen uns betrug nur noch etwa zweieinhalb Meter, und sein Gesicht jagte mir einen eiskalten Schauder über den Rücken.
Ein Troll! schoß es mir durch den Kopf.
Ich wollte schon nach meinem Stiefelmesser greifen.
Oh Gott, nein, noch ein Troll!
»Hast du etwas gesagt?« fragte er.
Nach dem ersten Schock sah ich, daß er doch kein Troll war — zumindest kein Troll wie die anderen. Er hatte ein alptraumhaftes Gesicht, aber es war weder schweins- noch hundeartig. Keine fleischige Schnauze, keine Fangzähne, keine gespaltene hechelnde Zunge. Er war ein Mensch, aber eine Abnormität, mit einem derart verunstalteten Kopf, daß er mir wie ein lebendes Beispiel für Gottes eigenartige, makabre Stimmungen vorkam.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären ein göttlicher Bildhauer mit einem schlimmen Kater und einem ausgefallenen Sinn für Humor — ein Bildhauer, der mit den Materialien Fleisch, Blut und Knochen arbeitet. Als erstes formen Sie jetzt einen riesigen grobschlächtigen Kiefer, der auf die Ohren zu nicht allmählich zurücktritt, wie das bei normalen Gesichtern der Fall ist, sondern plötzlich in häßlichen knotigen Knochenklumpen endet. Genau darüber geben Sie Ihrer unglücklichen Skulptur zwei Ohren, die Ähnlichkeit mit krausen Kohlblättern haben, sowie einen Mund, bei dem Sie sich vom Greifer eines Baggers inspirieren lassen. Werfen Sie nun große eckige Zähne hinein, viel zuviele, die Sie mehr schlecht als recht auf dem begrenzten Platz unterbringen, schief und übereinander, wie es sich gerade ergibt, und färben Sie diese Zähne zusätzlich noch so gelb, daß das Werk Ihrer Hände sich schämen wird, den Mund aufzumachen. Genug der Grausamkeiten, mit
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