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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Bühne und nicht auf einem schäbigen Holzhocker. Die Strahlen beleuchteten sie nicht wie alle anderen Menschen, sondern schienen ihr eine bevorzugte Behandlung zukommen zu lassen, etwa so wie ein Vater seiner Lieblingstochter. Sie betonten den natürlichen Glanz ihrer Haare, stellten stolz ihre ebenmäßig glatte Haut zur Schau, umschmeichelten ihre fein modellierten Backenknochen und die zarte Nase, deuteten die geheimnisvolle Tiefe ihrer herrlichen Augen an.
    Ich stand wie vom Donner gerührt da und beobachtete, wie sie einen jungen Mann zum Spiel verlockte, ihm 50 Cents abnahm, tröstende Worte fand, als er nur BRAVER JUNGE schaffte, und ihn geschickt dazu brachte, für einen Dollar drei weitere Versuche zu machen. Sie hielt sich an keine der üblichen Regeln, wie eine Attraktion sich am besten verkaufen läßt. Weder forderte sie die Umstehenden durch spöttische Bemerkungen heraus noch brüllte sie laut; sie hob kaum einmal die Stimme, und trotzdem vermochte sie sich wie durch Zauberei gegen die Musik aus dem Zelt der Wahrsagerin, gegen den Ausrufer vom Ballonspiel und den ständig anschwellenden Lärm der Fahrgeschäfte durchzusetzen. Am ungewöhnlichsten war aber, daß sie überhaupt nicht aufstand, daß sie keinen Versuch machte, durch dramatische Gesten, komische Tanzschritte, laute Späße, sexuelle Anspielungen oder sonstige Standardtechniken das Publikum anzulocken. Sie plauderte amüsantes Zeug daher, und sie sah hinreißend aus. Das genügte, und sie war klug genug, um sich dessen bewußt zu sein. Sie raubte mir den Verstand.
    Ich ging betont lässigen Schrittes auf sie zu — eine Taktik, die ich bei hübschen Mädchen manchmal anwandte, um selbstbewußtes Auftreten zu demonstrieren. Sie hielt mich für einen Besucher, der den Hammer schwingen wollte, aber ich erklärte: »Nein, ich suche Miß Raines.«
    »Wozu?«
    »Jelly Jordan hat mich hergeschickt.«
    »Bist du Slim? Ich bin Rya Raines.«
    »Oh«, murmelte ich bestürzt, denn dieses Mädchen, das nur wenig älter sein konnte als ich, entsprach keineswegs den Vorstellungen, die ich mir von einer gerissenen und aggressiven Konzessionärin gemacht hatte.
    Sie runzelte leicht die Stirn, was ihre Schönheit jedoch nicht beeinträchtigte. »Wie alt bist du?«
    »Siebzehn.«
    »Du siehst jünger aus.«
    »Ich gehe auf achtzehn zu«, erwiderte ich.
    »Das ist der übliche Lauf der Welt.«
    »Was?«
    »Danach wirst du neunzehn sein, dann zwanzig, und so weiter und so fort«, sagte sie sarkastisch.
    Ich spürte, daß sie ein Typ war, der auf Herausforderung besser ansprach als auf Unterwürfigkeit, und entgegnete lächelnd: »Bei dir dürfte die Sache aber nicht so abgelaufen sein. Ich habe den Eindruck, als wärest du von zwölf direkt auf neunzig gesprungen.«
    Sie erwiderte mein Lächeln nicht und blieb weiterhin kühl, aber immerhin glättete sich ihre Stirn. »Kannst du reden?«
    »Tu ich das nicht schon?«
    »Du weißt genau, was ich meine.«
    Statt einer Antwort nahm ich den Holzhammer zur Hand und schlug so kräftig zu, daß die Glocke läutete und einige Leute interessiert stehenblieben. Mit lockeren Sprüchen gelang es mir, in wenigen Minuten drei Dollar einzunehmen.
    »Okay, ich probier's mit dir«, sagte Rya Raines. Sie blickte mir beim Sprechen direkt in die Augen, und mir wurde ganz heiß. »Laß dir folgendes gesagt sein: Bei diesem Spiel geht es ehrlich zu, wie du ja schon selbst feststellen konntest. Es ist nicht irgendwie präpariert. So was ist bei den Sombra Brothers streng verboten, aber selbst wenn's erlaubt wäre, würde ich nicht mit so üblen Tricks arbeiten. Und ebenso lehne ich es ab, daß man den Leuten mit irgendwelchen unwahren Behauptungen ihre Gewinne vorenthält. Es ist nicht einfach, die Glocke zum Läuten zu bringen. Es ist sogar verdammt schwer. Aber der Spieler hat eine faire Chance, und wenn er es schafft, bekommt er seinen Preis, verstanden?«
    »Verstanden.«
    Sie übergab mir ihre Geldschürze und den Wechselgeldkasten, während sie mit dem energischen und scharfen Ton einer Juniorchefin von General Motors fortfuhr: »Um fünf schicke ich jemanden her, der dich bis acht ablöst, damit du zu Abend essen und ein Nickerchen machen kannst. Um acht mußt du wieder zur Stelle sein, und dann arbeitest du, bis der Rummelplatz schließt. Anschließend bringst du mir die Einnahmen in meinen Wohnwagen. Es ist ein Airstream, das größte Modell. Du wirst ihn leicht finden, denn er ist der einzige, der an einem brandneuen roten

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