Zwielicht
schüttelte sie.
Ich berührte ihn, und es gelang mir unter Aufbietung aller Willenskraft, mich zu beherrschen. Ihn zu berühren war noch schlimmer, als jene vier Trolle zu berühren, die ich in den vergangenen Monaten umgebracht hatte. Ihn berühren zu müssen, kam mir fast so pervers vor, als träfe man Satan und wäre gezwungen, ihm die Hand zu schütteln. Während des flüchtigen Körperkontakts spürte ich seine Bösartigkeit wie einen schmerzhaften, übelkeitserregenden Stromstoß, und sein maßloser wilder Haß ließ meinen Puls auf mindestens 150 hochschnellen.
»Ich freue mich, Sie zu sehen«, erklärte er mit breitem Lächeln. »Ich freue mich wirklich sehr. Die ganze Stadt freut sich immer auf den Vergnügungspark.«
Dieser Troll spielte seine Rolle genauso perfekt wie Kelsko; und wie Kelsko, so war auch er ein besonders abstoßendes Exemplar seiner Spezies, mit welker, pockennarbiger, warziger Haut, die auf ein hohes Alter hindeutete. Die glühenden karmesinroten Augen schienen ihre Farbe aus einem Meer von Menschenblut gesogen zu haben, aus rotglühender menschlicher Qual, die dieser Troll unserer gepeinigten Rasse zugefügt hatte.
Jelly und Luke fühlten sich nach der Begegnung mit Bürgermeister Spectorsky etwas besser, weil er — wie sie sagten — wie immer gewesen sei. Ich hingegen fühlte mich noch schlechter.
Jelly hatte mit seiner Vermutung recht gehabt, daß sie irgend etwas im Schilde führten.
Ich hatte das Gefühl, als wäre das Blut in meinen Adern gefroren, als wären sogar die Knochen völlig vereist.
Etwas braute sich zusammen.
Etwas Schlimmes.
Gott steh uns bei, dachte ich verzweifelt.
Das Amtsgericht von Yontsdown lag gleich gegenüber dem Rathaus, auf der anderen Straßenseite. In den Büros neben dem Gerichtssaal gingen verschiedene Beamte ihren Geschäften nach. In einem dieser Räume wartete Mary Vanaletto, die Vorsitzende des Kreisrates, auf uns.
Auch sie war ein Troll.
Jelly behandelte sie anders als Kelsko und Spectorsky, nicht etwa, weil er gespürt hätte, daß sie kein Mensch war, sondern ganz einfach, weil er es mit einer Frau zu tun hatte, noch dazu mit einer attraktiven Frau. Sie mußte etwa vierzig sein, eine schlanke Brünette mit großen Augen und sinnlichem Mund, und als Jelly seinen Charme spielen ließ, kicherte sie errötend über seine Komplimente, klimperte mit den Augen und flirtete insgesamt so geschickt, daß sein Interesse bald nicht mehr nur gespielt war. Er glaubte zweifellos, sie gewaltig zu beeindrucken, aber ich konnte sehen, daß sie eine viel perfektere Vorstellung gab als er. Der Troll unter der Menschenhülle — bei weitem nicht so alt und dekadent wie Kelsko und Spectorsky — hätte Jelly am liebsten umgebracht, hätte uns alle mit wahrer Wonne umgebracht. Meiner Erfahrung nach war es das, was jeder Troll wollte, was ihm den höchsten Genuß bereitete — Menschen hinzumorden, aber nicht in einem Anfall wilder Raserei, nicht möglichst viele bei einem einzigen Blutbad. Nein, sie wollten sich die Morde einteilen, um das Blut und die Qualen jedes einzelnen richtig auskosten zu können. Auch Mary Vanaletto hatte dieses sadistische Bedürfnis, und als ich sah, wie Jelly ihre Hand hielt, ihr die Schulter tätschelte und ihr schöne Augen machte, mußte ich an mich halten, um ihn nicht von ihr loszureißen und zu schreien: »Nichts wie weg hier!«
Was mir eine Gänsehaut verursachte, war nicht einfach die Tatsache, daß auch Mary Vanaletto ein Troll war, sondern etwas, das ich noch nie gesehen hatte und mir nicht einmal in meinen schlimmsten Alpträumen hätte vorstellen können.
Durch die durchsichtige Menschenhülle sah ich nicht einen Troll, sondern vier — eine voll ausgewachsene Kreatur in jener Art, an die ich gewöhnt war, und drei regungslose kleine Wesen mit geschlossenen Augen und unfertigen Gesichtszügen. Die drei schienen sich in dem großen Troll zu befinden, in seinem Unterleib, und sie nahmen unverkennbar fötale Positionen ein. Dieses schreckliche dämonische Wesen war schwanger.
Mir war nie in den Sinn gekommen, daß die Trolle sich fortpflanzen könnten. Die bloße Tatsache ihrer Existenz war grauenhaft genug. Undenkbar, sich da auch noch Generationen ungeborener Trolle vorzustellen, für die wir Menschen wiederum nichts anderes als Schlachtvieh sein würden. Stattdessen hatte ich immer angenommen, sie wären der Hölle entstiegen oder aus einer anderen Welt gekommen. Ich hatte geglaubt, nur eine begrenzte konstante
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